Wir stellen die Stuttgarter Kandidaten vor. Heute ist es Judith Skudelny von der FDP, die zwar unauffällig wirkt, bei ihren Themen aber Fahrt gewinnt: Kinderbetreuung und Stuttgart 21 sind nur zwei von zahlreichen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Politik macht krank. Judith Skudelny hat im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 an einem Abend im August Probleme mit der Sehkraft. „Das ist ja schrecklich! Ich sehe gar nichts“, sagt die FDP-Kandidatin für den Wahlkreis Stuttgart I (Süd) und tastet langsam nach einem Bauklotz, um diesen auf einen Turm zu stapeln. Erst hapert es noch mit der Orientierung. Von Versuch zu Versuch wird die gebürtige Stuttgarterin aber sicherer.

 

Die Einschränkung der Skudelny’schen Sehkraft ist dabei nicht einem zu harten Pensum im Wahlkampf geschuldet, sondern ein mittels einer Tunnel-Brille bewusst herbeigeführter Zustand. Der Verein „Aussichten“ und der Stadtjugendring haben Bundestagskandidaten zum „Blind Date“ in das Kulturzentrum Merlin eingeladen, um den Politikern das Thema Inklusion nahezubringen. Fast alle Stuttgarter Kandidaten sind gekommen: Während Karin Maag (CDU) ihr Wahlkampflächeln anknipst, sitzt Judith Skudelny längst unauffällig am Tisch und diskutiert.

Großes Medien-Interesse an Plenarsaal-Baby

Dass sie manchmal zu unauffällig wirkt, wird Skudelny gerne vorgeworfen. Darauf reagiert die 37-Jährige gelassen. „Als ich im Landtag gearbeitet habe, hat mich Walter Döring nie erkannt. Einmal hatten wir Gäste aus Amerika. Döring fragte mich strahlend: ,Where do you come from?’, woraufhin ich ,From Leinfelden-Echterdingen’ antwortete“, erzählt die Mutter zweier Kinder und Anwältin für Insolvenzrecht trocken. Wenn Skudelny in Fahrt kommt, hüpft sie vom Thema Kinderbetreuung – sie sieht in Tagesmüttern im Vergleich zur Kindertagesstätte die bessere Lösung – zu Stuttgart 21. „Ich bin eine Befürworterin dieses Projektes, denke aber, dass zu dem Thema alles gesagt ist.“

Judith Skudelny sagt „wuppen“, wenn sie von erledigen spricht und erzählt kurzweilig, wie ihr Guido Westerwelle aus der Patsche geholfen hat, als sie ihr damals vier Monate altes Baby zur konstituierenden Sitzung des Bundestags mitnehmen wollte, ein Saaldiener aber etwas gegen dieses Ansinnen hatte. Von unzähligen Medien wurde sie anschließend zum ersten Plenarsaal-Baby befragt. „Ich hätte nie gedacht, dass das so ein Thema ist. Im Gemeinderat von Leinfelden-Echterdingen hat mein Sohn auch nie gestört.“

Vollgas auf allen Ebenen

Im Merlin gibt es derweil Süßigkeiten. Die Besucher des politischen „Blind Date“ dürfen kalorienhaltige Lose ziehen und werden mittels Schokoriegel einem Politiker zugeteilt. Biggi Bender (Grüne) ist die Gruppe Milky Way, Judith Skudelny führt die Mannschaft Mars an. Bereits vor der ersten Geschicklichkeitsübung hat die Kandidatin den Schokoriegel verputzt.

Bei der zweiten Übung kommt eine weitere Eigenschaft Skudelnys zum Vorschein: ein leichter Hang zum Streberhaften. „An dieser Stelle sei gesagt, dass Sehbehinderte Zuhause gerne farbige Lichtschalter installieren“, doziert sie beim Sortieren farbiger Bonbons, um sogleich von einem Aussichten-Mitglied wegen ihres gefährlichen Halbwissens gerüffelt zu werden. Schon zu Schulzeiten ist Skudelny bei den Jungliberalen eingetreten. „Hatten Sie denn keine anderen Hobbys, Frau Skudelny?“ – „Meine Eltern waren in der FDP. Ich habe schon beim Plakate kleben geholfen, bevor ich mich überhaupt mit Inhalten auseinandergesetzt habe.“

Keine Zeit mehr zum Ausgehen

Heute schmeißt sie mit Inhalten um sich. Etwa bei der Auseinandersetzung auf der Website „abgeordnetenwatch.de“, wenn sie einem User in epischer Breite ihren Standpunkt zu Hartz IV erklärt (Verkürzt: „Im Vergleich zu anderen Ländern haben es Hartz-IV-Empfänger gut“) oder ihr Steckenpferd, das Thema Energie, beleuchtet („Ohne eine bessere Abstimmung mit Europa geht gar nichts“).

Ortswechsel. Der Tag nach der Dunkel-Erfahrung. Bei einer Holunder-Schorle schwärmt sie von der Erfahrung des Vorabends. „Selten wurde so fair diskutiert wie gestern im Dunkeln. Scheinbar fallen die Zwischentöne weg, wenn man die Konkurrenten nicht sehen kann.“ Als sich Clubbetreiber Jean Theodorou (Rocker 33) an den Tisch setzt, wird er von Skudelny mit einem „Hi Janni“ begrüßt. „Den kenne ich noch aus RadioBar-Zeiten.“ Für das Ausgehen bleibt heute zwischen Kindern, einer Tätigkeit als Anwältin und einem Bundestagsmandat keine Zeit mehr. Skudelny fährt auf allen Ebenen Vollgas – und wettet zum Abschied, dass die FDP, die sie auf Platz sechs der Landesliste setzte, auf 7,8 Prozent kommt. Nach einem Treffen mit ihr muss man fast befürchten: Politik macht nicht nur krank, sondern auch Spaß.