Kurz vor dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart hat Parteichef Christian Lindner die CDU-Regierungschefin aufs Korn genommen: Der Höhepunkt ihrer Kanzlerschaft liege hinter Merkel, sagte Lindner im StZ-Interview.

Stuttgart - Am 6. Januar kommt die FDP traditionell im Stuttgarter Staatstheater zusammen. Ihr Vorsitzender attackiert im Vorfeld die Union, aber auch von Ampelkoalitionen hält er wenig. In Baden-Württemberg müssten Grün und Rot zuvor „180-Grad-Wenden“ hinlegen. Ein kategorisches Nein ist das aber nicht.

 
Herr Lindner, Deutschland befindet sich Krisenmodus. Viele Menschen sehnen sich nach einem starken Staat, der Sicherheit vermittelt. Was kann denen die FDP bieten?
Sicherheit im Wandel ist keine Frage mehr von Staatsgarantien oder staatlicher Planung. In der Flüchtlingskrise haben wir das erlebt. Da ist Organisationsversagen staatlicher Ebenen aus der Mitte der Gesellschaft durch großartiges bürgerschaftliches Engagement ausgeglichen worden. Deshalb ist eine Lehre aus dem vergangenen Jahr, den Menschen wieder mehr zuzutrauen, ihnen Möglichkeiten zu geben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das ist der beste Weg, um aus dem Wandel einen Gewinn für unser Land zu machen.
Was ist die Antwort auf die Flüchtlingskrise: Willkommenskultur oder Abschottung?
Es muss ein Drittes geben zwischen Merkel und Seehofer, zwischen einer grenzenlosen Willkommenskultur und einer dumpfen, reaktionären Abschottung. Wir brauchen eine moderne Einwanderungsstrategie, die humanitäre Verantwortung mit Rationalität verbindet. Dazu ist ein neues Einwanderungsrecht notwendig, das es ermöglicht, fachlich und beruflich geeignete Menschen auszuwählen, um mit deren Hilfe unserem Fachkräftemangel gezielt zu begegnen.
Das löst nicht die akuten Probleme . . .
. . . die kann man dauerhaft nur mit einem gemeinsamen europäischen Asyl- und Flüchtlingsrecht lösen. Deutsche Alleingänge schaden nur. Es war töricht von Frau Merkel zu glauben, Deutschland könne auf eigene Faust die Probleme angehen und dann den anderen europäischen Ländern eine Lösung aufzwingen. Wir müssen die Magnetwirkung unserer Flüchtlingspolitik, die im dauerhaften Aufenthalt und vergleichsweise hohen Leistungen besteht, beenden. Deshalb brauchen wir dringend ein europaweit vergleichbares Leistungsniveau mit einheitlichen Regeln. Zum Schutz der Außengrenzen muss eine europäische Institution, eine Art europäischer Grenzschutz mit polizeilichen Befugnissen geschaffen werden. Das kann man nicht allein den Griechen überlassen. Notwendig ist auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit einer europäischen Strategie für Afrika und den Nahen und Mittleren Osten.
Was soll mit jenen Kriegsflüchtlingen geschehen, die es hierher schaffen?
Jenen, die beispielsweise aus Syrien zu uns kommen, sollte ein vorübergehender humanitärer Schutz ohne Asylverfahren gewährt werden, aber kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Auf diese Weise haben wir auch den Kosovo-Flüchtlingen Anfang der 1990er Jahre geholfen. Wenn der Fluchtgrund entfallen ist, sollten diese Menschen wieder ausreisen. Das europäische Recht macht das möglich. Wir brauchen dazu keine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz. Man darf dabei allerdings nicht den Fehler begehen, gut qualifizierten und integrierten Menschen die Möglichkeit zu nehmen, bei uns zu bleiben. Deshalb müsste diese Regelung kombiniert werden mit einem modernen Einwanderungsrecht.