In Stuttgart soll es von 2017 an Fahrverbote geben, um die hohen Feinstaubwerte zu reduzieren. Das greift zu kurz, meint der StZ-Redakteur Thomas Durchdenwald und fordert eine umfassende Mobilitätsstrategie.

Stuttgart - Jahrelang haben die Behörden, haben die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg sich an der Quadratur des Kreises versucht. Die hohen Belastungen an Feinstaub, die das Stuttgarter Neckartor seit Jahren zur dreckigsten Kreuzung Deutschlands machen, sollten bekämpft werden durch Maßnahmen, die den Autofahrern nicht wehtun. Viele Hoffnungen – sinnvolle wie die Einführung der Umweltplaketten, kuriose wie ein Asphaltkleber, der das Aufwirbeln von schädlichen Partikeln verhindern sollte – lösten sich regelrecht in Luft auf. Die Grenzwerte werden seit zehn Jahren beständig überschritten, ohne dass die Politiker ihrer gesetzlichen Pflicht nachgekommen wären, für saubere Luft zu sorgen. In der Hauptstadt des Automobils gilt die freie Fahrt als höheres Gut, selbst wenn die Experten gebetsmühlenhaft darauf hinweisen, dass letztlich nur weniger Autoverkehr zu deutlich weniger Schadstoffen führen wird.

 

Erst der Druck der Europäischen Union, die mit millionenschweren Strafzahlungen bei weiterem Nichtstun droht, hat die Verantwortlichen im Verkehrsministerium und im Rathaus aufgeschreckt. Sie müssen jetzt handeln – und der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann ist diese Woche zum Missfallen seines Parteifreunds Fritz Kuhn vorgeprescht mit Ideen, für die auch der Stuttgarter Oberbürgermeister die Vaterschaft reklamiert: Vom Jahr 2017 an soll es an Tagen, an denen Grenzwertüberschreitungen drohen, Fahrverbote für jeweils die Hälfte der Autos geben, von 2019 an müssen Diesel draußen bleiben, wenn sie eine strenge Norm nicht erfüllen.

Kehrtwende der Politik

Das sind vertretbare Maßnahmen, die gewiss nicht das Ende des Autoverkehrs in Stuttgart bedeuten. Aber sie stellen eine Kehrtwende dar. Zunächst nämlich setzten der grüne Oberbürgermeister und die grün-rote Landesregierung die Politik ihrer Vorgänger aus dem konservativ-liberalen Lager fast nahtlos fort, die an die drei Affen erinnert: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – und schon gar nicht so garstige Wörter wie Fahrverbot oder Citymaut, die beim automobilen Wahlvolk zu Liebesentzug führen könnten. Schließlich ist im Frühjahr 2016 eine Landtagswahl – und nichts scheuen die Grünen aus bitterer Erfahrung so sehr wie eine Debatte über sie als Verbotspartei. Doch nun ist die Politik gezwungen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Was Proteste und juristische Niederlagen nicht erreichten, löst der blaue Brief aus Brüssel aus, der die bisherige Politik des Abwartens stoppt.

Die Maßnahmen, die Hermann skizziert hat, sind bis jetzt nur Absichtserklärungen. Ob und wie sie umgesetzt werden, ist noch offen – und dass dabei manches revidiert und abgeschwächt werden könnte, machen die nun beginnende Diskussion über den Sinn einzelner Maßnahmen und auch die berechtigten Zweifel deutlich, ob und wie Busse und Bahnen die steigende Nachfrage aufnehmen können. Am Ende wird über den Erfolg aber entscheiden, dass die Bevölkerung diese Einschränkungen nicht als Schikane empfindet, sondern sie als sinnvoll und notwendig akzeptiert im Bemühen um eine lebenswerte Stadt und um den Gesundheitsschutz jedes Einzelnen.

Umfassende Strategie fehlt

Dabei sind Fahrverbote auch ein Zeichen für die Versäumnisse der Vergangenheit – von der Politik, aber auch von den vielen Auto fahrenden Bürgern (wozu der Autor gehört). Nur mit Verboten wird sich eine zukunftsweisende Verkehrspolitik in der dicht bevölkerten und prosperierenden Region Stuttgart nicht gestalten lassen. Dazu sind freiwillige Verhaltensänderungen jedes Einzelnen nötig, aber auch Angebote, die den Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel attraktiver und einfacher machen. Ein Konzept, das nur auf Fahrverbote setzt, mag die Feinstaubbelastung reduzieren. Doch das greift zu kurz. Nötig ist eine umfassende Strategie für die Mobilität der Zukunft – und die fehlt noch immer.