Die Landesregierung will keine Fahrverbote für Stuttgart aussprechen. Die Lösung gegen die weit überhöhten Stickoxid- und Feinstaubwerte soll die Blaue Plakette bringen.

Stuttgart. - Die Landesregierung setzt bei der Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Stuttgart ab 2018 nicht auf Fahrverbote. Die Lösung gegen die weit überhöhten Stickoxid- und Feinstaubwerte soll die Blaue Plakette bringen. Für den von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bereits beerdigten Aufkleber soll sich bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) einsetzen, sondern auch dessen Stellvertreter Thomas Strobl. Er ist CDU-Vize im Bund. „Die Chancen auf die Einführung der Blauen Plakette stehen gut, wenn Strobl auf Bundesebene Druck macht“, heißt es in der Landtagsfraktion der Grünen.

 

„Wir wollen uns nicht von einem Gericht zu Fahrverboten verurteilen lassen, sondern alles für die Blaue Plakette tun“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Sein Haus hat den Fraktionsspitzen der Regierungskoalition die Ergebnisse des Wirkungsgutachtens zur Luftreinhaltung präsentiert. Das Papier listet viele Ideen von der Umstellung der Busflotte auf schadstoffarme Antriebe bis zu mehr Radwegen auf, die geringe Beiträge zur Minderung bringen. Tatsächlich gibt es nur eine Maßnahme, die durchschlagenden Erfolg verspricht: Die Blaue Plakette. „Sie bringt laut Wirkungsgutachten beim Straßenverkehr 90 Prozent Reduktion der Stickoxide. Am Messpunkt Neckartor erwarten wir einen Rückgang von 40 Prozent beim Stickoxid und 15 Prozent beim Feinstaub“, sagt ein Spitzenbeamter aus Hermanns Haus.

Land drängt auf bundesweite Regelung

Erhalten sollen die Blaue Plakette alle Diesel-Pkw, die die Schadstoffnorm Euro 6 erfüllen. Außerdem Benziner, die mindestens den Vorgaben für Euro 3 genügen.

„Die Blaue Plakette wäre ein präzises Instrument. Unseres Erachtens kann es dazu nur eine bundesweite Regelung geben“, sagt Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. Man wolle keine ganzjährigen Fahrverbote für Stuttgart aussprechen, das sei „undenkbar“. Ein Durchfahrtsverbot für alle Diesel in der Landeshauptstadt nur an Tagen mit Feinstaubalarm würde gegen die Stickoxidbelastung laut Wirkungsgutachten wenig bringen: nur sechs Prozent Minderung sind ausgewiesen.

Dobrindt hat die neue Plakette bisher mit dem Hinweis abgelehnt, die Länder könnten mit Durchfahrtsverboten und dem Zusatzzeichen „für Diesel“ selbst tätig werden. Das gab er seinem Kollegen Hermann im Frühjahr 2016 schriftlich. Die Kommunen sollten dann Ausnahmen auch für alle Pendler festschreiben. Die beiden Verkehrspolitiker sind sich in herzlicher Ablehnung zugetan, heißt es im Landtag. Das fördere eine Lösung nicht. Auch deshalb müsse jetzt auf höherer Ebene die Entscheidung gesucht werden.

Neckartor bleibt Spitzenreiter

Die Stickoxidwerte an der Messstelle Neckartor erreichten 2016 im Jahresmittel 82 Mikrogramm pro Kubikmeter. Erlaubt sind 40 Mikrogramm. Die Werte verharren seit 2010 nach Rückgängen auf diesem hohen Niveau. Zu der Belastung trägt der Autoverkehr an der Messtelle mit 53 Prozent bei, bei der großräumigen Hintergrundbelastung mit Stickoxid erreicht der Verkehr einen Anteil von weiteren 19 Prozent. Beim Feinstaub geht die Zahl der Überschreitungstage in Stuttgart seit Jahren zurück. Dennoch war die Stadt auch 2016 mit 63 Tagen bundesweit Spitzenreiter. Erlaubt sind 35 Tage mit im Mittel mehr als 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Mit einer Blauen Plakette könnten die seit vielen Jahren geltenden EU-Grenzwerte erreicht werden.

In der CDU-Landtagsfraktion gebe es nach dem Spitzentreffen außer der Festlegung, auf Fahrverbote zu verzichten, „kein abschließendes Ergebnis“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nicole Razavi. Man wolle kommenden Dienstag beraten. Die Fraktion hat an die Regierung appelliert, beim Verwaltungsgericht Stuttgart um eine weitere Fristverlängerung für die Stellungnahme zur Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu bitten. Man habe dazu noch nichts erhalten, so die Gerichtssprecherin. Die DUH hat in Düsseldorf ihre Klage mit gleicher Zielrichtung – stadtweite Fahrverbote für Diesel – 2016 gewonnen.

Angesichts dieses Urteils, das beim Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung liegt, wachse der Druck. Die Fraktion wolle „einen Weg finden, wie wir die Werte absenken können.“ In der Situation, in der sich Stuttgart befinde, müsse man auch an neue Maßnahmen denken“, so Razavi.

Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen, warnt vor einem pauschalen Fahrverbot durch ein Urteil. „Wir müssen dem Diesel eine Chance geben, es geht um 250 000 Arbeitsplätze“, sagt er. Die Blaue Plakette solle in Stuttgart 2020 verbindlich werden. Diese „wirksame Maßnahme“ können man auch einem Gericht vermitteln.