Die Stadt Stuttgart hat eine neue Idee, wie man dem Feinstaub Herr werden könnte. Am Neckartor sollen deshalb bald an einer Wand Moose hinaufwachsen, sie sollen die Schadstoffe aus der Luft filtern. Aber es gibt einen Haken: die Finanzierung.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Im Kampf gegen die miesen Luftwerte am Neckartor greift die Stadt nicht nach dem letzten Strohhalm, sondern setzt auf kleine, grüne Helferlein, genauer auf Moose – zumindest wenn sich die Stadtklimatologen aus dem Amt für Umweltschutz mit ihrer Idee durchsetzen. Die sieht vor, auf einer Länge von gut 100 Metern an der Cannstatter Straße Moose an einer eigens errichteten Wand hinaufwachsen zu lassen.

 

Das letzte Wort hat der Gemeinderat, der bei den anstehenden Haushaltsberatungen für den zunächst ungewöhnlich klingenden Vorschlag knapp 400 000 Euro lockermachen müsste.

100 Meter lange und zwei bis drei Meter hohe Wand

Es gebe keine „Abschätzung der Wirksamkeit von Mooswänden“ teilte OB Fritz Kuhn (Grüne) seinen Parteifreunden im Gemeinderat noch im Oktober 2014 mit. Die Ökofraktion hatte damals eine solche Maßnahme zur Reduzierung des Feinstaubs gefordert.

Gut möglich, dass die damals vom Rathauschef vermisste wissenschaftliche Grundlage bald geschaffen werden kann – und zwar am Neckartor, das der Boulevard als Deutschlands dreckigste Kreuzung identifiziert hat.

An Fachwissen mangelt es in Stuttgart nicht. Mit Martin Nebel arbeitet eine Kapazität auf dem Gebiet der Moosforschung am Naturkundemuseum am Löwentor. Der Fachmann ist vorsichtig optimistisch, was die Wirksamkeit der Mooswand angeht. „Wenn wir die Feinstaubbelastung um zehn bis 20 Prozent senken, ist unser Versuch auf einem guten Weg“, sagt Martin Nebel.

Allerdings sei echte Grundlagenforschung nötig. „Die EU warnt zwar vor den Gefahren des Feinstaubs, aber es hat sich noch niemand ernsthaft mit dem Verhalten der Partikel beschäftigt.“ Das soll sich bei dem Versuch am Neckartor ändern. Zwei bis drei Meter hoch und 100 Meter lang soll die Wand sein, die mit Moosplatten belegt wird. Auf einem Quadratzentimeter finden 20 bis 30 Moospflanzen Platz.

Moose sind besser als Bäume

Gegenüber Bäumen hat der Bodendecker im Kampf gegen den Feinstaub ganz entscheidende Vorteile. Zwar legten sich die Partikel auch auf Blättern von Bäumen ab. „Aber beim nächsten Regen wäscht’s den Feinstaub wieder runter, er lagert sich auf der Straße ab, und der ganze Kreislauf beginnt von vorne“, erklärt der Botaniker. Nicht so die Moose. Die ernähren sich von den Feinstaubpartikeln, genauer von den Stickstoffverbindungen in den Luftschadstoffen.

Die Gewächse können die mikroskopisch kleinen Teile auch elektrostatisch einfangen. Eine Sättigung tritt dabei nicht ein. Die Moose bauen die Schadstoffe beim Wachstum komplett ab. Ein Problem, das es noch zu lösen gilt, entsteht durch die Luftverwirbelungen, die vom vorbeiströmenden Verkehr ausgelöst werden.

Bakterien könnten sich über Reifenabrieb hermachen

Von den Moosen verspricht sich der Fachmann nicht nur einen Erfolg im Kampf gegen den Feinstaub. Bakterien, die auf der Oberfläche der Gewächse leben, sollen sich Partikel des Reifenabriebs einverleiben. Außerdem sei bereits beobachtet worden, dass Moose Schwermetall aus ihrer Umgebung einlagern. „Man weiß, dass sie das tun, aber nicht warum“, sagt Nebel. Die Idee, sich der kleinen grünen Helfer zu bedienen, ist nicht neu. Versuche mit einer ähnlichen Wand hat es bereits an einer Stadtautobahn in Bonn gegeben. Allerdings liegen von diesem Versuch keine belastbaren Messergebnisse vor.

Die soll es am Neckartor auf alle Fälle geben – nicht alleine von der schon bestehenden Messstation. „Da sollen noch weitere Instrumente dazukommen“, erklärt Rainer Kapp vom Umweltamt der Stadt, der den Versuch mitvorbereitet. Noch ist nicht klar, wo genau die Wand aufgebaut wird. Denn Moose mögen’s nicht zu heiß. „Der Niederschlag im Jahresmittel reicht zwar aus, aber die Hitzeperioden im Sommer würden ihnen sehr zu schaffen machen“, sagt Kapp. Eine vor Ort gebaute Zisterne könnte dieses Problem beseitigen.

Nun hoffen Kapp und Nebel darauf, dass sich bei den Etatverhandlungen im Herbst eine Mehrheit für den Versuch findet. Denn auch im Kampf gegen den Feinstaub gilt: „Ohne Moos nix los.“