Nicht nur in Stuttgart ist die Luft über die Maßen belastet. An zahlreichen Messstellen in Deutschland werden Höchstwerte beim Feinstaub gemessen. Von der EU drohen für überschrittene Werte hohe Strafzahlungen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Das Neckartor in Stuttgart ist der dreckigste Fleck Deutschlands – zumindest was die Feinstaubwerte angeht. Seit Jahren liegen die Werte der kleinen, gesundheitsgefährdenden Partikel an dieser Messstelle jenseits von Gut und Böse. 89-mal wurden dort im Jahr 2011 im Tagesmittel mehr als die EU-weit erlaubten 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft gemessen. Die Stadt streitet seit Jahren über Straßenbeläge, Pförtnerampeln und Fahrverbote; Erfolg hat bisher keine dieser Maßnahmen gebracht.

 

Am Neckartor wie auch an weiteren Messstellen in der Bundesrepublik ist überhaupt nicht absehbar, wie die Feinstaubbelastung unter die EU-weit gültigen Höchstwerte gedrückt werden soll. Das ist nicht nur für die Gesundheit der Bürger ein gewaltiges Problem: Wenn Deutschland seine Feinstaubwerte nicht bald in den Griff bekommt, drohen in letzter Konsequenz millionenschwere Strafzahlungen nach Brüssel.

Eine Klage der EU-Kommission ist der nächste mögliche Schritt

Als der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC) Anfang Februar vor „extremen Geldstrafen“ von „etwa 100 000 Euro pro Überschreitungstag“ warnte, war das den wenigsten Medien eine Schlagzeile wert – zu kurios schien die Meldung, zu willkürlich der genannte Betrag. Doch die Gefahr von Strafzahlungen ist ganz real: Derzeit läuft bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland; eine Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof ist dann der nächste mögliche Schritt.

In 25 Gebieten wurden in Deutschland im Jahr 2010 überhöhte Feinstaubwerte gemessen; nur elf von ihnen hatten von der EU-Kommission eine Fristverlängerung bis Juni 2011 erhalten. Wegen der vierzehn Gebiete ohne Verlängerung hat die Kommission bereits ein (einer Gerichtsverhandlung vorgeschaltetes) Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

An 82 Messstationen gibt es überhöhte Feinstaubwerte

Erst bis zum 30. September dieses Jahres muss Deutschland für die elf Gebiete mit Ausnahmeregelungen die Ergebnisse der Feinstaubmessungen für das Jahr 2011 übermitteln. Öffentlich abrufbare Daten des Umweltbundesamts belegen, dass im Jahr 2011 an 82 Messstationen überhöhte Feinstaubwerte gemessen wurden.

Die Zahlen werden nun den einzelnen Gebieten zugeordnet, also beispielsweise der Stadt Stuttgart. Misst nur eine Station überhöhte Werte, gilt das gesamte Gebiet als über die Maßen belastet. Deutschland werde der Kommission zum Stichtag am 30. September definitiv Grenzwertüberschreitungen melden, sagt ein Experte des Umweltbundesamts (UBA) in Dessau – nach ersten Berechnungen für ungefähr 20 Bereiche.

Die EU kennt kein Pardon

Brüssel wird dann feststellen, dass Deutschland die Grenzwerte trotz der Fristverlängerung bis zum Juni 2011 in vielen Gebieten nicht vollständig eingehalten hat. Die Kommission kann dann Deutschland wegen zu schlechter Luft vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Dass die Europäische Union kein Pardon kennt, zeigen bereits abgeschlossene oder noch laufende Prozesse. Der EuGH urteilte bereits, dass Schweden und Slowenien die EU-Feinstaubrichtlinie verletzt haben; die Kommission hat in derselben Sache zudem bereits Portugal und Italien verklagt.

Eine solche Klage läuft zweistufig ab: erst urteilt der EuGH, dass ein Mitgliedstaat das EU-Recht verletzt. Hält sich ein Land auch in der Folge nicht an die europaweit geltenden Regeln, kann die Kommission erneut vor den EuGH ziehen und Strafzahlungen fordern. Deren Höhe ist zwar vom konkreten Fall abhängig und davon, wie lange EU-Recht verletzt wurde. Deutschland hätte den Regeln für Strafzahlungen zufolge ein absolutes Minimum von 11,2 Millionen Euro zu bezahlen. Der Bund könnte die Strafe auf die Gebiete abwälzen, deretwegen Deutschland zu Strafzahlungen verurteilt wurde – konkret also auf die Regierungspräsidien, Landkreise und Kommunen, in denen die Feinstaubwerte zu hoch sind.

Am Stuttgarter Neckartor helfen nur lokale Maßnahmen

Viele Hoffnungen ruhen darauf, dass sich das Feinstaubproblem mit der Zeit löst – aufgrund strengerer Abgasnormen und modernerer Autos. Von einer Klage gegen die Bundesrepublik bis zur gerichtlichen Anordnung von Strafzahlungen würden wohl zwei Jahre vergehen. Für 2013 ist zudem eine Revision der entsprechenden EU-Richtlinie geplant. Es ist gut möglich, dass den Staaten dabei ein weiterer Aufschub gewährt wird. „Die EU-Kommission registriert, dass Deutschland einiges für die Luftqualität tut“, sagt ein Mitarbeiter des Umweltbundesamts (UBA). Außerdem seien die europäischen Abgasnormen „weniger erfolgreich, als die Kommission sich das vorgestellt hat“, so der Umweltexperte weiter.

An bestimmten Stellen – das Stuttgarter Neckartor zählt dazu – werden nur ergänzende lokale Maßnahmen helfen, die Grenzwerte einzuhalten; dies gilt insbesondere, weil unzulässig hohe Feinstaubkonzentrationen fast ausschließlich an verkehrsnahen Stationen gemessen werden. Der Verkehr und insbesondere Autos sind also die Hauptverschmutzer, wenngleich hohe Feinstaubwerte von bestimmten Wetterlagen, Straßenschluchten oder wenig Wind begünstigt werden.

Detaildiskussionen statt wirksamen Gegenmittel

Doch in Stuttgart beispielsweise verheddern sich die Beteiligten in Detaildiskussionen, statt wirksame Gegenmittel zu untersuchen und auszuprobieren. Oftmals wird auch der Nutzen der vielerorts eingerichteten Umweltzonen in Zweifel gezogen, beispielsweise vom ADAC. Alternative Antriebe seien viel sinnvoller gegen Feinstaub, so die Autolobby.

Auf Verwaltungsebene scheint die Angst vor Strafzahlungen bis jetzt nur sehr gering ausgeprägt. „Wir hatten ja für einige Zonen eine Fristverlängerung, vielleicht sind die Strafen da nicht so im Bewusstsein“, vermutet eine Mitarbeiterin des Umweltbundesamts. Vielleicht liegt es auch daran, dass der europäische Musterschüler Deutschland bisher noch nie vor ein Gericht gezerrt wurde, weil er bestimmte Grenzwerte nicht einhalten konnte? „Keiner weiß, was bei so einem Verfahren genau auf einen zukommt“, sagt die UBA-Expertin, „aber die Städte müssten das Thema eigentlich im Fokus haben.“