Die Märchenerzählerin Sigrid Früh hat einen Großteil ihres Lebens dem Forschen und Schreiben gewidmet. Jetzt feiert sie ihren 80 Geburtstag.

Fellbach -

 

Wie viele Märchen Sigrid Früh entdeckt, ausgegraben und gesammelt hat, das weiß keiner. Es werden mehrere Hundert sein, veröffentlicht in mehr als 65 Büchern. Immerhin ist das erste Märchenbuch von Sigrid Früh, die in Tübingen und Zürich unter anderem Germanistik und Volkskunde studiert hat, vor mehr als 30 Jahren erschienen. Jetzt im Herbst kommt ein weiteres dazu: „Märchen von Tor und Tür“ ist eine Anthologie zum 80. Geburtstag der weit über Fellbach und die Landesgrenzen hinaus bekannten Märchenforscherin. Heute feiert sie diesen runden Geburtstag im Familienkreis, im Juni dann zusammen mit vielen Wegbegleitern und geladenen Gästen im Mörikekeller.

„Das Eselein“ zählt zu ihren Lieblingsmärchen

Schon als Kind hörte Sigrid Früh gerne Märchen, gebannt lauschte sie den Erzählungen ihres Großvaters. Besonders aufmerksam hörte sie bei dem Märchen „Das Eselein“ und „Die Jungfrau Maleen“ zu. Sie wurden zu ihren Lieblingsmärchen – und sind es bis heute geblieben. Ein Lächeln huscht über ihr blasses Gesicht, eingerahmt von schütterem, rotem Haar, als ihr Mann Helmut diese Episode aus Sigrid Frühs Kindheit auffrischt. Sie selbst kann diese Erinnerungen nicht mehr in Worte fassen, krankheitsbedingt hat sie unter anderem Probleme bei der Wortfindung. Umso lieber hört sie zu und signalisiert mit ihren wachen, knitzen Augen, dass sie die Konversation verfolgt. Wie viel sie davon versteht, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Das ist seit über zwei Jahren so.

Ihr Mann Helmut setzt das Lebenswerk fort

2011 schrieb die Züricher Zeitung noch über sie: „Am liebsten sitzt Sigrid Früh auf einem Tisch – ‚damit ich mein Publikum besser sehen kann’ – und baumelt lässig mit den Füßen. Mit temperamentvollen Armbewegungen und zwei lebhaften Äuglein straft sie ihre 76 Jahre Lügen. So kennt man sie, so liebt man sie.“ Mittlerweile ist ihr ein paar Jahre jüngerer Mann Helmut sozusagen in ihre Fußstapfen getreten. „Meine Frau“ – Sigrid Früh ist in zweiter Ehe mit ihm seit 1967 verheiratet – „hat mir so viel gegeben, jetzt kann ich ihr etwas davon zurückgeben.“ Das bedeutet, dass er sich nicht nur um ihr Wohlergehen kümmert, sondern ihr Lebenswerk fortsetzt, indem er Märchenlesungen hält – und seine Frau daran teilhaben lässt und mitnimmt. Sie sitzt dann, meist mit einem großen Hut auf dem Kopf, neben ihm und schaut neugierig ins Publikum.

Die Märchen handeln von Drachen und Dämonen

Der Terminkalender ist nicht mehr so voll wie in den Zeiten, als Sigrid Früh landauf landab Märchentage organisierte und dabei selbst die meisten Erzählrunden bestritt. Unermüdlich grub sie neue Märchen aus und sammelte sie in Büchern. Sie beschäftigen sich mit Brauchtum, die in bestimmten Landschaften wie Oberschwaben, Ostalb, dem Schwarzwald oder in Russland zuhause sind, oder handeln von Frauen, Müttern und Töchtern, Drachen und Dämonen, Sternen oder Gärten und Jahreszeiten. Dafür ist Sigrid Früh mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem 1994 mit der Friedrich-E.-Vogt-Medaille in Aalen, 2003 mit dem Wildweibchenpreis der Gemeinde Reichelsheim, 2011 mit der Ehrenplakette der Stadt Fellbach und im selben Jahr mit der Sebastian-Sailer-Medaille für schwäbische Mundart.

Bei Märchentagen, die meist sie ins Leben gerufen hat, schöpfte die Forscherin nicht nur aus ihrem reichen Fundus, sondern erfuhr oft auch von neuen Märchen. In Fellbach hat sie die Märchentage in den 1990ern zusammen mit dem Kunstverein und Roland Kübler etabliert, nachdem sie zuvor schon in Schorndorf mit einer ähnlichen Veranstaltung großen Erfolg hatte. In Küblers Stendel-Verlag, der in Waiblingen ansässig war, erschienen einige ihrer Bücher. Ihre liebsten und für sie bedeutendsten Märchen, eines davon stammt von Theodor Storm und ein anderes aus der Ortenau, hat Sigrid Früh 2012 in dem Band Märchen-Schätze, der beim Königsfurt-Urania Verlag erschien, zusammengefasst. Dort erscheint nun auch das Buch zum 80. Geburtstag. „Just letzte Woche habe ich die letzte Besprechung dazu gehabt“, erzählt Helmut Früh. Er hat viel Arbeit und Zeit in die Recherchen für die „Märchen von Tür und Tor“ gesteckt, entstanden ist sozusagen ein Geburtstagsgeschenk an seine Frau.

Seit ein paar Jahren wohnt sie in Fellbach

Es war einmal – mit dieser Redewendung beginnen zwar viele Märchen, aber Helmut Früh möchte nicht, dass dieser Satz auch schon auf die Zeit seiner Frau als Märchenerzählerin zutrifft. Es war an einem Morgen im Juni 2012, Helmut Früh erinnert sich noch ganz genau, als Sigrid Früh ihm sagte: „Ich kann keine Märchenmehr erzählen“. Er habe zunächst gedacht: „Das darf doch nicht wahr sein“ – und dann angefangen, ihren Part bei den Lesungen zu übernehmen. Das tut er bis heute. Märchen waren schon immer ein Lebenselixier für Sigrid Früh – und sind es offensichtlich bis heute. Bei dieser Feststellung nickt sie zustimmend und schaut gedankenverloren von ihrer Wohnung in der Cannstatter Straße auf die Lutherkirche. Seit ein paar Jahren wohnt sie mit Mann und Katze in Fellbach, davor jahrelang in Kernen.