Die Bahnhofsgegend in Fellbach war einst ein beliebter Standort für Firmen. Aber auch für Jungen übte dieser Ort einen besonderen Reiz aus: Sie nutzten ihn als Abenteuerspielplatz.

Fellbach - Mehr als das Industriegebiet an der Stuttgarter Straße präsentiert sich die Bahnhofsgegend im Jahr 1955 als Standort für Firmen. Das Band der Gleise zieht sich durch Fellbach, aber es fällt eine Querung auf, die es heute nicht mehr gibt: Ein Steg führte aus Stuttgart ankommende Arbeiter über die Gleise zur Druckgießerei auf dem Mahle-Areal. Heute ist das Gebäude eine Event-Location. Mahle verlagerte die später verkaufte Druckluft-Abteilung nach Fellbach. Auch Rennwagen-Teile wurden produziert.

 

Der Steg am Bahnhof übte für die unternehmungslustigen Buben der Zeit einen großen Reiz aus. Jürgen Schmid, geboren 1950 und in Fellbach aufgewachsen, erinnert sich: „Wir sind immer drauf gestanden, wenn die Dampfloks gefahren sind. Die haben uns in Nebel gehüllt.“ Es gab sie oft am Fellbacher Bahnhof zu sehen, sie fuhren nicht nur durch. Die Steigung von Cannstatt her war schwierig. Um sie zu überwinden, schoben zusätzliche Loks bis Fellbach von hinten, erzählt Jürgen Schmid. Beim Steg blieben sie stehen – und ließen Dampf ab, bevor sie kehrtmachten. Es gab auch eine kleine rote Diesellok, die Industriegleise westlich und östlich des Bahnhofs bediente. Sie werden offenbar nicht mehr genutzt. Damals aber war der Gleisanschluss ein wertvoller Standortvorteil. Ein Gleis, unverzichtbar für die Anlieferungen, führte schräg über die Eisenbahnstraße zum Stahlhändler Heine und Beisswenger an der Theodor-Heuss-Straße, erkennbar am leicht abgeknickten U. Es verlief mitten durch ein gegenüberliegendes Grundstück.

Das Luftbild von 1955 zeigt, dass es in Fellbach nördlich der Gleise eine Ziegelei mit ein paar Häuschen gab. Ein hoher Schornstein und sein langer Schatten sind zu sehen. Heute stehen dort gewerbliche Anwesen. Damals aber lockte die Buben der Ziegeleisee an. „In dem haben wir gebadet, das war natürlich verboten“, erzählt Jürgen Schmid. Aus alten Tonnen bauten die Jungs sich ein Floß. Überhaupt scheint Fellbach 1955 ein einziger Abenteuerspielplatz gewesen zu sein. Schmid erzählt vom Klettern über Zäune, um Privatgärten und wenig abgesicherte Firmengebäude zu inspizieren.

Den Lehm für die Ziegel holte die Fabrik mit Wägelchen auf Gleisen aus einer nördlich gelegenen Grube. Waren die Loren entleert nahm der wagemutige Nachwuchs im Karacho den Rückweg Richtung Grube. „Wenn wir erwischt wurden, gab’s Ohrfeigen“, erinnert sich Schmid.

Der Schatten eines weiteren großen Schornsteins ist südlich der Bahnlinie bei einem schon älteren Anwesen zu erkennen. Vor gut drei Jahrzehnten wurde der Schlot gesprengt, um der Recycling-Firma Pro Metall Platz fürs Sortieren zu schaffen. Das alte Gaswerk, 1907 fertiggestellt, stand laut Stadtwerke-Technikchef Rainer Seeger, auf dem heutigen Gelände des städtischen Versorgungsunternehmens zwischen der Ringstraße und der Bahnlinie. Nicht ganz zu klären war, ob es sich um die Firma Stern und Müller gehandelt hat, genauso wie andere Gebäude an der Eisenbahnstraße.

Eine andere herausragende Fläche ist dagegen erkennbar: Westlich der Esslinger Straße – inmitten der Äcker und von Bäumen umgeben – liegt der einst über Fellbach hinaus sehr bekannte Samen-Pfitzer. Die Firma hatte, wie von Heimatforscher Otto Mall auf Thomas Scharnowskis Seiten im Internet schreibt, schon 1910 in der Nähe des Fellbacher Bahnhofs fünf Hektar bäuerlichen Grundbesitz erworben und sich ab dann eine Großgärtnerei mit Samenzucht eingerichtet. „Auf allen größeren Ausstellungen war Wilhelm Pfitzer als Präsident der deutschen und Vizepräsident der britischen Gladiolen-Gesellschaft auf der Liste der Preisrichter, bis er 1931 hochverehrt starb.“