Von Juristen auf dem Chefsessel hält Ulrich Raisch wenig – und hofft in seiner Heimatstadt auf mehr als eine Außenseiterrolle.

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Als Dauerkandidat will sich Ulrich Raisch nicht bezeichnen lassen. Und auch der Begriff „Vielfachkandidat“ findet bei dem in Fellbach aufgewachsenen 55-Jährigen keine Gnade. Ein Gespräch mit dem Mann, der schon 26 Mal bei Bürgermeisterwahlen seine Chance suchte - und sich auf einer Mission für eine nachhaltige musikalische Bildung sieht.
Herr Raisch, im Vorgespräch haben Sie uns erläutert, dass Ihnen neben Fellbach auch der Zitatenschatz des früheren Stuttgarter OB Manfred Rommel am Herzen liegt. Gibt es für Sie einen Satz mit Vorbildcharakter?
Wir sind ja beide im Sternzeichen des Steinbocks geboren, können also gut rechnen. Das passt zum Zitat „Gegen Adam Riese kann man keine Politik machen.“
Ach, deshalb haben Sie uns den Haushaltsplan der Stadt Fellbach mitgebracht?
Wir müssen den Blick leider auf die finanziellen Realitäten lenken, das ist der harte Boden der Tatsachen. Und so wie es um den städtischen Haushalt steht, erklärt das auch, weshalb wir jetzt einen Wechsel in Fellbach bekommen und warum wirklich eine neue Ära anbricht.
Werden Sie doch bitte ein wenig konkreter ...
Wenn man allein mal die beabsichtigten Baukosten für Maicklerschule, Wichernschule und möglicherweise die Zeppelinschule zusammenzählt, ist man bei 15,7 bis 21,3 Millionen Euro. Da ist mein altes Friedrich-Schiller-Gymnasium noch nicht mal dabei. Und die Stadt geht davon aus, dass sich die Zahlen durch den starken Anstieg der Baukosten noch erhöhen werden. Wenn man das in Relation zum Gesamthaushalt setzt, ist das schon erschreckend. Vergangenes Jahr hatte die Stadt noch 11,2 Millionen in der Rücklage, jetzt sind es noch 6,5, nächstes Jahr dann 2,4 Millionen Euro. Das ist nur noch knapp über der Mindestreserve. Wie es danach weitergehen soll, müssen Sie mal die Gemeinderäte fragen.
Das heißt, Fellbach lebt aus Ihrer Sicht weit über seine finanziellen Verhältnisse?
Nein, so hart würde ich es nicht ausdrücken. Aber man sollte wenigstens den Stand der Schulden und den Stand der Rücklagen in Bezug auf das Haushalts-volumen von 143, 5 Millionen für das Jahr 2016 kennen. Durch Gewerbesteuer und Einkommenssteuer kommen zusammen 56,5 Millionen in die Kasse. Dagegen stehen Personalausgaben von 31,1 Millionen, und die ganzen Umlagen vom Finanzausgleich bis zur Kreisumlage mit mehr als 50 Millionen. Das ist happig. Aber jetzt geht’s erst an den eigentlichen Speck. Die Verschuldung, das klingt so schön, liegt bei 64,36 Euro pro Einwohner. Das sind effektiv 2,94 Millionen, das ist nicht dramatisch. Aber: Das ist ohne Eigenbetriebe und ohne Kombibad, das hat ja jemand mal ‚Schattenhaushalte’ genannt. Da kommen pi mal Daumen noch mal 71 Millionen Euro drauf. Wenn man sich überlegt, wie man all die anstehenden Aufgaben finanziert, dann wird es wirklich schwierig.
Soll heißen, Fellbach kann sich keine Investitionen ins Schulsystem mehr leisten?
Glücklicherweise befinden wir uns in einer Situation, in der das Geld fast nichts kostet. Aber die Schulden, die man jetzt aufnimmt, werden den Handlungsspielraum zukünftiger Generationen enorm begrenzen, Stichwort Nachhaltigkeit.
Als Rathauschef würden Sie, Herr Raisch, also auf die Kostenbremse treten?
Die Stadt steht schlichtweg vor enormen finanziellen Herausforderungen, die so noch nie da waren. Die großen Brocken sind die Betreuungseinrichtungen, vor allem die Mensen – also die Möglichkeit für Schüler, essen zu gehen. Das sind Aufgaben, die man früher schlichtweg nicht hatte. Da ging man davon aus, dass die Kinder zu Hause etwas Gescheites auf dem Tisch stehen haben. In der Nachkriegszeit war es gang und gäbe, dass die Frauen ihren Männern am Werkstor mit dem Henkelmann das Essen brachten, weil die den ganzen Tag geschuftet haben. Das hat alles mal funktioniert und vielleicht muss man solche Sachen auch mal wiederentdecken, bevor das finanziell völlig, ich will nicht sagen, aus dem Ruder läuft und unfinanzierbar wird. Aber das kostet auch wieder Zeit und wenn die Leute auch Geld verdienen müssen, ist das schwierig. Aber man kann ja niemand Vorschriften machen, das sind die harten Realitäten.
Von Ihnen als Pädagoge hätten wir jetzt ja erwartet, dass Sie eine Lanze für den Ausbau von Bildung und Betreuung brechen.
Das tue ich auch, aber da braucht’s echte Brainpower, also viel Hirnschmalz auf gut Schwäbisch, das ist mit irgendwelchen Tratschklubs nicht zu machen. Der finanzielle Spielraum ist definitiv nicht mehr da, um wünschenswerte, aber nur schwer finanzierbare Projekte zu stemmen. Das zeigen die Zahlen unbestreitbar.
Die Kämmerer klagen gern, dass vor allem die Pflichtaufgaben ins Geld gehen....
Ja, natürlich, nehmen wir die Feuerwehr, und die Bildungseinrichtungen, das sind Pflichtaufgaben. Deshalb sollte das auch jemand in die Hand nehmen, der von der Sache wirklich eine Ahnung hat. Und da komme ich jetzt ins Spiel.
Ihr pädagogischer Hintergrund zeichnet Sie also besonders aus?
Das sag ich doch, ich habe schließlich drei pädagogische Hochschulabschlüsse. Bildung und Betreuung sind die Bereiche, die ganz wesentlich Kosten verursachen und das kann meines Erachtens nur jemand auch als Repräsentant vertreten, der weiß, wovon er da in der Sache spricht. Und keinen Juristen, der weiß, wie das vielleicht rechtlich zu beurteilen wäre. Das kommt wirklich erst ganz zum Schluss und wenn es gar nicht mehr anders geht.
Soll heißen, nur ein Pädagoge könnte an den Schulen richtig sparen?
Nein, wir brauchen einen Ausbau, eine Entwicklung. Aber die muss, wie gesagt, auch pädagogisch Sinn machen. Fellbach ist eine Musik- und Kulturstadt, meines Erachtens müsste das profilbildend werden. Auch die Kommunen stehen ja im Wettbewerb. Da hätte man insbesondere mit dem Konzept des Berliner Musikkindergartens, für das ich seit Jahren Werbung mache, eine hervorragende Möglichkeit, die man ziemlich kostenneutral gestalten kann.
Lässt sich in einem Satz erklären, um was es bei diesem Modell ungefähr geht?
Es geht nicht um ein Zusatzangebot, also nicht um Kindergarten plus Musik, sondern darum, dass das ganze Leben im Hort durchtränkt ist von Musik. Ein Erfolgs-geheimnis ist, dass der Kindergarten wie Familienleben organisiert wird und aufs Neugierprinzip setzt, dass Kinder von sich aus kommen und etwas erfahren wollen.
Das ist eine Herzensangelegenheit für Sie, das wollen Sie fördern...
Ich würde alle Kindergärten auf das System umstellen, das sage ich ehrlich. Das wird der Bringer für junge Familien. Das ist ein alter Gedanke, das Wohnstubenprinzip bei Pestalozzi. Es geht nicht nur um Bildung, sondern zugleich um erziehenden Unterricht – hier immer in Verbindung mit Musik.
Wären Sie für die Förderung dieser Idee nicht an einer pädagogischen Stelle, sagen wir mal in der Kindergarten-Fachberatung oder im Schulamt, am richtigen Platz?
Das müssen Sie die Verwaltungen fragen, die solche Stellen ausschreiben. Ich habe meine Vorstellungen bei jeder Kandidatur deutlich gemacht, die Flyer haben alle Bürgermeister und Gemeinderäte erhalten.
Hat das schon jemand aufgegriffen?
Das Interesse nimmt zu, das nehme ich wahr. Aber dass es jetzt bereits Kreise zieht und konkrete Anfragen kommen, ist bisher nicht der Fall.
Ist das der eigentliche Impuls für Ihre Kandidaturen? Dass Sie den Wahlkampf als Podium nutzen, um die Idee vom Musik-kindergarten unters Volk zu bringen?
Natürlich! Ich werde ja immer gefragt, weshalb ich das eigentlich mache. Und dann sage ich immer: ‚Wer nur bis zu seinem eigenen Gartenzaun denkt, läuft Gefahr, dass er irgendwann womöglich noch nicht mal mehr einen Gartenzaun hat’.
Lassen Sie uns zurückkommen auf Ihre ganz beachtliche Reihe an Kandidaturen: Warum wehren Sie sich eigentlich immer, wenn Sie trotz inzwischen 27 Bewerbungen als Dauerkandidat bezeichnet werden?
Ganz einfach. Der Begriff macht überhaupt keinen Sinn, außer dem, dass damit eine Abwertung verbunden ist – weil man eben sagt, dass man das gar nicht ernst nehmen müsse. Das geht sogar so weit, dass manche Leute hier in Fellbach zu meiner Mutter sagen: ‚Sagen Sie mal, können Sie Ihrem Sohn das eigentlich nicht verbieten?’ Da wird richtiggehend Einfluss genommen.
Dann fühlen Sie sich von den Fellbachern unfair behandelt?
Nein nicht von ‚den Fellbachern’, es gibt Leute, die man konkret benennen könnte, was ich jetzt natürlich nicht tun werde.
Aber von den betreffenden Leuten fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Nein, ich wundere mich ja auch gar nicht, wenn ich persönlich angegriffen werde. ‚Wer sich einsetzt, setzt sich aus“, sage ich immer. Aber ich verstehe mich eigentlich als Sä-Mann. Das versteht jeder Landwirt und jeder, der einen Weinberg hat. Jesus hat das unübertrefflich in seinem Gleichnis erklärt: Ein Viertel der Saat holen die Vögel. Ein weiteres Viertel verdorrt unter der Sonne. Ein weiteres Viertel wird vom Unkraut überwuchert. Und nur mit dem letzten Viertel können und dürfen Sie rechnen.
Wenn wir das jetzt auf Ihre Wahlchancen übertragen, würden Sie am 18. September auf 25 Prozent der Stimmen kommen.
(Lacht.) Das wäre zumindest eine begründbare Hoffnung. Aber wenn die 25 Prozent wie die Hefe im Teig wirken, dass sich da andere auch noch anstecken lassen, dann kann’s eine Welle geben, die mich vielleicht doch mal in so ein Amt trägt. Aber eigentlich überlasse ich das meinem Schöpfer. Der weiß längst, wo er mich sehen will.

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Das Gespräch mit Ulrich Raisch führten Dirk Herrmann und Sascha Schmierer.