Der Fellbacher Gewa-Turm bietet eine atemraubende Aussicht – wenn man denn hineinkommt. Denn der Investor ist pleite, die Arbeiten sind eingestellt. Viel mehr als nackter Beton ist in dem Haus noch nicht zu sehen.

Fellbach - Er ist kilometerweit zu sehen, der 107 Meter hohe Gewa-Tower in Fellbach (Rems-Murr-Kreis): ein schlanker, charakteristisch auskragender Turm, oben zehn Meter breiter als die Grundfläche – im grauen Kleid einer unvollendeten Baustelle. Schächte und Stützen bilden mit Decken ein Ensemble, durch das der Wind pfeift. Nur provisorische Geländer aus Holz sind angebracht, um Bauarbeiter gegen den Absturz zu sichern. Doch in dem Rohbau in der Schorndorfer Straße wird gar nicht mehr gearbeitet. Der Zutritt ist streng verboten. Ilkin Bananyarli, der vorläufige Insolvenzverwalter, macht aber eine Ausnahme und gewährt unserer Zeitung einen Einblick in die weit verzweigten, seit Tagen fast menschenleeren Gänge.

 

Bananyarli verhandelt über die ungewisse Zukunft des Gebäudes. Der Generalunternehmer, die Stuttgarter Firma Baresel, hat am 11. November, knapp einen Monat nach der Feier des Richtfests, die Arbeit eingestellt. Seitdem sind die Eigentümer von 45 der insgesamt 66 Wohnungen sowie die Anleger, die in eine Anleihe zur Projektfinanzierung investiert haben, in Sorge um ihr Geld. Und viele Fellbacher befürchten, dass jahrelang eine Ruine den Blick auf die Stadt bestimmt.

Innenausbau noch ganz am Anfang

Drinnen ist der Tower so grau wie draußen: Wer erwartet hat, dass in den unteren Stockwerken schon der Innenausbau vorangetrieben wurde, während die Bauarbeiter in den Etagen darüber wochenlang noch Stockwerk um Stockwerk, bis in die 34. Etage, in Beton gossen, wird enttäuscht. In den unteren Ebenen sind zwar die Fenster eingesetzt, und im Treppenhaus kann man sich an einem Metallgeländer festhalten. Doch nur in wenigen Wohnungen sind schon Heizungsrohre und Leitungen für die Elektroinstallation gelegt. Manche Zwischenwand ist halb eingezogen. Alles Weitere fehlt: Böden, Türen, sanitäre Anlagen, nichts ist da.

Unklar ist auch, was es einen neuen Investor kosten könnte, das dritthöchste Wohnhochhaus Deutschlands fertig zu bauen. Bananyarli, der Fachanwalt für Insolvenzrecht ist, betont zwar, dass er mit Interessenten verhandle und „sehr gute Gespräche“ mit dem Generalunternehmer führe. Doch bei Fragen nach Kosten und Investitionen winkt er ab. Das müsse erst noch geklärt werden.

Investor zahlt vorerst nicht

Etwas wohnlicher als der Turm sieht die Lobby des ebenfalls noch nicht fertiggestellten Hotels aus. Immerhin ist schon ein roter Teppichboden ausgelegt. Die sogenannte südliche Randbebauung hat der Bauträger, die Firma Gewa 5 to 1, auf der Suche nach Geldquellen vor einigen Wochen verkauft, wie zuvor schon ein Nachbargrundstück, doch flüssig ist sie dadurch nicht geworden. Der nicht genannte private Investor will vereinbarungsgemäß erst zahlen, wenn das Hotel fertiggestellt und abgenommen ist, was für das erste Quartal des kommenden Jahres erwartet wurde und jetzt illusorisch erscheint.

Je weiter man die 34 Stockwerke des Towers erklimmt oder mit dem Außenaufzug der Bauarbeiter in schwindelnde Höhe „erfährt“, desto kahler wird der Rohbau. Zu sehen sind einige Bündel Stromleitungen, mal eine Schaufel, mal eine Leiter, mal ein Haufen Abschrankungen. Vielerorts ragen nur Schläuche aus dem Boden. Das Treppenhaus ist provisorisch mit Brettern gesichert. Innenaufzüge gibt es noch nicht. Die Firma Baresel geht aber laut einer Mitteilung davon aus, dass „die Bauarbeiten am Gewa-Tower in Fellbach schon in absehbarer Zeit wieder aufgenommen werden können“. Worauf sich dieser Optimismus gründet, bleibt offen. Der vorläufige Insolvenzverwalter lässt sich folgendermaßen zitieren: „Mein Ziel ist es, zeitnah die bestmögliche Lösung für den Wohnturm und die Gläubiger zu erzielen. Wir stehen hierzu auch im engen Austausch mit dem gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger.“

Nichts kann diese Aussicht verbauen

Im 32. Stockwerk angekommen wird endlich sichtbar, worauf sich der Optimismus der Gewa-Chefs Michael und Mark Warbanoff gestützt hat, dass gerade die teuren Räume in den oberen Etagen reißenden Absatz finden würden. Allerdings sind alle der 21 nicht verkauften Wohnungen im oberen Bereich angesiedelt. Wer im Prunkstück des Hauses steht, der bisher mit einem Kaufpreis von 4,5 Millionen Euro taxierten Maisonette-Wohnung auf der Südwestseite, hat einen atemraubenden Ausblick auf die Umgebung. An einem sonnigen, wenn auch kalten Novembertag mit Dunst am Horizont kann man zwar kaum abschätzen, wie weit der Blick bei klarem Wetter noch reichen mag, aber es ist eine beeindruckende Sicht aus der Vogelperspektive. Obwohl die wintergartenartige zweite Verglasung ebenso wie die Wohnungsfenster noch fehlen, reicht kaum Straßenlärm herauf. Als seien sie elektrisch betrieben, wuseln Autos im Miniaturformat durch die Schorndorfer Straße. Die schrägen Abluftbauwerke des Fellbacher Stadttunnels verdienen, von der höheren Warte aus gesehen, die Bezeichnung Turm nicht mehr. In der Ferne grüßt der Fernsehturm. Man fühlt sich auf Augenhöhe mit ihm, schaut auf die Grabkapelle Württemberg herab, statt zu ihr hinauf.

Auf der anderen Seite sind die eckigen Bausünden und das Ausmaß der Bodenversiegelung im Remstal zu überblicken, aber auch die grünen Hänge, Weinlagen und Wälder. Nichts kann diese Aussicht verbauen. Wer freilich bereit wäre, viel Geld für eine dieser Luxuswohnungen zu zahlen, der kauft, so scheint es die Erfahrung der Firma Gewa 5 to 1 zu lehren, nicht vom Reißbrett aus. Doch das Unternehmen hat sich keine fertig ausgestattete Musterwohnung in einem anderen Gebäude geleistet.

Bauruine bringt keinen Imagegewinn

„Auch in Hamburg, Zürich und Luxemburg kennt man jetzt Fellbach und den Gewa-Tower“, hat Mark Warbanoff, der geschäftsführende Gesellschafter der Gewa 5 to 1, noch bei der Grundsteinlegung vor zwei Jahren stolz betont. Die Fellbacher würden heute wohl gerne darauf verzichten, mit der Bauruine, die der Tower gefühlt gerade darstellt, in Verbindung gebracht zu werden. Viele haben das Projekt schon seit 2006, als es zum ersten Mal öffentlich vorgestellt wurde, unter dem Slogan „Fellbach ist nicht Manhattan“ zu verhindern versucht. Das Argument der Gegner: Der Maßstab passe nicht in die Stadt unterm Kappelberg.

Selbst nachts und in meilenweiter Entfernung ist das unvollendete Bauwerk nun zu sehen: Rote Leuchten markieren seine Höhe. Warnleuchten hätten wohl auch bei den Anlegern blinken müssen, als sie sich auf das Versprechen einer mit 6,5 Prozent verzinsten Anleihe eingelassen haben.

die Lage am Turm

Der Generalunternehmer, die Stuttgarter Firma Baresel, hat seine Leute abgezogen. Zahlungen des Auftraggebers seien ausgeblieben, heißt es in einer Mitteilung. Die Bauträgergesellschaft und Emittentin der Anleihe, die Firma Gewa 5 to 1, hat am 21. November Insolvenz angemeldet. Die 35 Millionen Euro aus der Anleihe sind offenbar weitgehend aufgebraucht, ebenso der Erlös in unbekannter Höhe aus dem Verkauf des Nachbargrundstücks, das die Firma Weisenburger für einen Investor mit Wohnhäusern bebaut.


Sieben Mehrfamilienhäuser hat die Firma Weisenburger in dem Projekt „Turrealis“ mit 152 Wohnungen an der Eberhard- und Friedrich-List-Straße hochgezogen. Dies ist die nördliche Randbebauung für den Tower. Die Arbeiten wurden im vierten Quartal 2014 gestartet, einige Monate nach der Grundsteinlegung für den Tower, die im Juni war. Sie stehen aber mittlerweile kurz vor der Fertigstellung. Mehr als die Hälfte der Wohnungen ist bereits an die Mieter übergeben worden.


Über den Preis des Business-Hotels, das die Gewa 5 to 1 im Oktober verkauft hat, ist Stillschweigen vereinbart worden. Die in der Immobilienbranche genannten elf Millionen Euro hätten die Gewa 5 to 1 wohl noch eine Weile über Wasser halten können. Auf 20 Jahre Laufzeit ist bereits ein Pachtvertrag mit der Nordic-Hotels-Gruppe abgeschlossen worden. Nach einer Übernahme dieser Firma durch die Louvre Hotels Group sollte das zukünftige Drei-Sterne-Business-Hotel unter dem Namen Tulip Inn firmieren.