Das TV-Lagerfeuer soll wieder knistern: In der Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Erfolgsstück „Terror“ sitzen die Fernsehzuschauer zu Gericht, im Anschluss diskutiert Frank Plasberg über eine Frage von staatstragender Dimension.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Die Tür zu einem Gerichtssaal öffnet sich. Richter treten ein, Fotografen richten ihre Kameras auf den Angeklagten wie auf den Richtertisch. Kurz darauf geschieht etwas Außerordentliches: Der Vorsitzende Richter (Burghart Klaußner) dreht sich um und spricht direkt in die Kamera. „Meine Damen und Herren, Sie sind heute dazu aufgerufen, Schöffen bei einem deutschen Gericht zu sein . . . Am Ende des Prozesses werden Sie Ihre Stimme abgeben können . . . und ich werde das Urteil verkünden, das Sie finden werden.“

 

Knapp zwei Minuten sind vergangen – und in „Terror – Ihr Urteil“ ist nichts mehr wie bei jedem anderen Fernsehfilm. Über den Ausgang des ARD-Dramas entscheidet nicht der Regisseur Lars Kraume und nicht das Drehbuch, das eine gekürzte Version des Theaterstücks „Terror“ von Ferdinand von Schirach ist. Wie im Film lässt der Strafverteidiger und Bestsellerautor auch in seinem Bühnenstück das Publikum über eine moralisch-ethisch schwerwiegende Frage abstimmen: Darf man Leben gegen Leben aufwiegen?

Angeklagt ist der Bundeswehrpilot Lars Koch (Florian David Fitz). Er hat gegen den Befehl seiner Vorgesetzten ein Passagierflugzeug mit 164 Menschen an Bord abgeschossen. Ein Terrorist hatte die Maschine gekapert, mit der Absicht, sie in die mit70 000 Menschen besetzte Münchner Allianz-Arena zu steuern. Ist der Soldat schuldig oder unschuldig? Hat der Major recht daran getan, mit dem „kleineren Übel“, wie es sein Verteidiger (Lars Eidinger) nennt, ein größeres zu verhindern? Ist er ein Held? Oder ist er ein Mörder, der sein individuelles Gewissen über das Gesetz gestellt und damit gegen die Verfassung verstoßen hat, wie die Staatsanwältin (Martina Gedeck) argumentiert? Hat doch das Bundesverfassungsgericht das 2005 erlassene Luftsicherheitsgesetz, das unter dem Eindruck der Terroranschläge von 9/11 den Abschuss ziviler Maschinen erlaubte, in einem entscheidenden Paragrafen wieder aufgehoben: Es verstoße gegen die Menschenwürde, Leben gegen Leben zu verrechnen.

Welches Ende darf es sein?

Das Urteil wird im Namen des Fernsehvolks fallen: Freispruch oder Verurteilung – diese zwei Versionen hat die Oliver-Berben-Produktion im Auftrag der ARD Degeto in petto. Es ist aber nicht nur diese Interaktivität, die an „Terror“ außerordentlich ist, während sie ja bei Showevents längst gang und gäbe ist. Auch formal handelt es sich um überdurchschnittlich exzellent gemachte 85 Fernsehminuten, in denen zudem sämtliche Schauspieler belegen, dass sie zurecht zur allerersten Riege gehören.

Nicht zuletzt dürfte die inhaltliche Dimension dessen, was da verhandelt wird, einzigartig in der fiktionalen Sparte des TV-Gewerbes sein, geht es doch um schier unlösbare Dilemmata: Darf man töten, um Leben zu retten? Was bedeutet uns unsere Verfassung? Was taugt sie, wenn sie Terroristen den Freischein dafür gibt, Passagierflugzeuge in eine Waffe zu verwandeln? Fragen, die den Zuschauer zwingen, nonstop abzuwägen, Stellung zu beziehen.

Es ist diese von von Schirach, der am Drehbuch mitarbeitete, genial ersonnene Grundkonstruktion, die das TV-Kammerspiel, das den Gerichtssaal nie verlässt, zu einem packenden Drama macht. Zwei Dinge tragen ebenfalls dazu bei: von Schirachs gestochen scharfe Sprache sowie Kraumes Regieleistung. Sie besticht durch ihre Konzentration und Reduktion, überwindet die durch die Begrenzung des Orts vorgegebene Statik durch Perspektivenwechsel und eine subtile akustische Dramatisierung.

Alles nur Fiktion?

Perfekt auch die Raumkulisse mit der geometrisch strengen Innenarchitektur des Gerichtssaals. Die Fensterfront gibt den Blick frei auf das Reichstagsgebäude – so wird nicht nur die staatstragende Dimension illustriert, sondern die Fiktion auch mit der Realität verknüpft. Aus Letzterem ergibt sich eine weitere wesentliche Frage: Was ist davon zu halten, einen solchen komplexen Konflikt einem Zuschauervoting auszusetzen und zu einem „medialen Ereignis“, so das erklärte Ziel, zu machen? Ja, das TV-Lagerfeuer soll mit „Terror“ sogar länderübergreifend wärmen: In bewährter Themenabend-Manier wird Frank Plasberg in einer „Hart aber fair“-Sonderausgabe das Urteil diskutieren; auch die Zuschauer in Österreich und der Schweiz können abstimmen. „Effekthascherei bei einem Vorgang, bei dem es um die Menschenwürde und die Wahrung der Grundrechte und der Substanz der Bundesrepublik“ gehe, haben die ehemaligen FDP-Bundespolitiker Burkhard Hirsch und Gerhart Baum das Televoting kritisiert und eine Debatte darüber in Gang gesetzt, ob sich Politiker nicht besser aus der ARD-Programmplanung heraushalten sollten. Die beiden Liberalen waren es, die mit ihrer Verfassungsbeschwerde das Luftsicherheitsgesetz ausgehebelt hatten.

Alles nur Fiktion, könnte ein Gegenargument lauten. Das stimmt angesichts der realen Terrorbedrohung nur bedingt; durch die Ankopplung an eine Talkshow reicht die Fiktion noch weiter in die Realität hinüber. Im Theater wurde bislang mehrheitlich für Freispruch gestimmt. Aber wie ermahnt der Richter anfangs: „Sie werden ausschließlich über das urteilen, was Sie in dieser Verhandlung hören. Deshalb vergessen Sie bitte alles, was Sie über diesen Fall gelesen oder gehört haben.“

Der Film wird am Montag, 17. Oktober, um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Nach dem Schlusswort des Richters (21.40 Uhr) werden die Leitungen für das Voting freigeschaltet. Nach zehn Minuten soll das Ergebnis vorliegen, dann wird der entsprechende Filmschluss gezeigt. Informationen unter www.daserste.de/terror.
In „Hart aber fair“ diskutiert Frank Plasberg ab 21.50 Uhr mit seinen Gästen: der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung, der ehemalige Kampfjetpilot Thomas Wassmann, der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum sowie die Theologin Petra Bahr.
An diesem Freitag, 14. Oktober, ist der TV-Film in vielen Städten im Kino zu sehen – in Stuttgart um 20 Uhr im Metropol. Auch die Kinobesucher können abstimmen.