Betreuung von Schülern in den Ferien kann auch so aussehen: Kinder, die sieben, 14 und 19 Jahre alt sind, müssen vor dem Ausflug gewickelt werden. Das Kindergästehaus nimmt auch pflegeintensive Kinder – und kann der Nachfrage nicht nachkommen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Betreuung von Schülern in den Ferien kann auch so aussehen: Kinder, die sieben, 14 und 19 Jahre alt sind, müssen vor dem Ausflug gewickelt werden. Eine 14-Jährige muss daran gehindert werden, sich die Jacke immer wieder auszuziehen. Ein Mädchen mit Tremor, muss angeschnallt werden, damit sie nicht aus dem Rollstuhl fällt. Und dabei darf man sich nicht davon irritieren lassen, dass eine groß gewachsene Jugendliche sich von jedem Erwachsenen die Uhr zeigen lässt, dabei laut „U“ ruft und ausgiebig rülpst. „Wir haben zwölf Individualisten bei uns“, sagt Heike Schulz, die verantwortliche Erzieherin für die Gruppe.

 

Das Haus in Bad Cannstatt ist auf die Kurzzeit- und Ferienbetreuung behinderter Kinder spezialisiert. Es ist die einzige Einrichtung in Stuttgart, die die Kurzzeitbetreuung nur für Kinder bis 18 Jahren anbietet. In der Ferienbetreuung engagieren sich auch einige andere Träger, aber das Kindergästehaus sticht hier ebenfalls heraus, weil es besonders viele pflegeintensive Kinder aufnimmt. Entsprechend herausfordernd ist die Arbeit des Teams.

Mädchen übergibt sich, weil sie Aufmerksamkeit will

So haben die zwölf Kinder, die Heike Schulz gemeinsam mit neun Praktikantinnen zu betreuen hat (die zweite Fachkraft ist diese Woche krank), komplett unterschiedliche Krankheitsbilder. Darunter sind ein neun Jahre alter Autist, der nicht sprechen kann und bei Lärm sofort unruhig wird, zwei geistig und körperlich behinderte Mädchen, die im Rollstuhl sitzen, davon eines, das jeden Moment einen Anfall erleiden kann. Ein Junge ist in der Gruppe, der Wutanfälle bekommt, wenn etwas anders läuft, als er es sich vorgestellt hat und dazu neigt, wegzulaufen. Am Vortag habe sich eines der älteren Mädchen plötzlich übergeben, berichtet Heike Schulz. Im Gespräch mit der Mutter sei dann herausgekommen, dass sie das immer macht, wenn sie Aufmerksamkeit will. „Heute habe ich ihr bestimmt gesagt, dass sie nicht spucken soll – und bisher hat sie es nicht gemacht“, erzählt die Erzieherin.

Das Kindergästehaus ist in einem hässlichen Betonklotz untergebracht und von innen relativ dunkel, auch weil ein Gerüst vor der Fassade steht. Doch das ist für die Eltern offenbar sekundär. Die Einrichtung kann sich vor Anfragen kaum retten – vor allem für die Ferienbetreuung. 360 Kinder stehen auf der Warteliste für die Ferien. „Der Bedarf ist riesig“, sagt Beate Harfmann-Mürdter, die Leiterin der Einrichtung. Schließlich könnten die Betroffenen ihre Kinder nicht einfach zu den Großeltern geben oder in ein Waldheim schicken.

Pro Ferienwoche kommen andere Kinder dran

Mehrere betroffene Eltern haben in den vergangenen Wochen gegenüber der StZ über mangelnde Unterstützung geklagt und dabei auch kritisiert, dass es zu wenige Betreuungsplätze für ihre Kinder in den Schulferien gebe. Anlass für die Beschwerden war der tragische Fall eines Vaters aus Ostfildern gewesen, der zuerst seinen behinderten Sohn und dann sich selbst getötet hatte. „Die Schulferien sind ein großes Problem“, meint zum Beispiel die Mutter einer mehrfach behinderten Tochter. Sie kümmere sich immer im Dezember um die Ferien für das komplette Jahr und schicke im großen Radius Anfragen raus, das koste viel Energie. Bei zwei unterschiedlichen Trägern habe es diese Ferien geklappt.

Das liegt an einer Strategie, die auch im Kindergästehaus angewandt wird: Je Ferienwoche andere Kinder aufzunehmen, um möglichst vielen Familien zu helfen. „Wir könnten es uns leicht machen“, sagt Beate Harfmann-Mürdter. Sie könnte sich angesichts der vielen Anfragen die einfachen Fälle raussuchen und den schweren absagen. Aber das tue man nicht. Auffällig sei, dass immer mehr betreuungsintensive Kinder angemeldet würden. Wegen des medizinischen Fortschritts überlebten heute mehr Kinder – und wegen der Inklusion würden die fitteren unter den behinderten Kindern normale Schulen besuchen.

Eingestreute Plätze in Pflegeheimen

Auch bei der Kurzzeitbetreuung gibt es Probleme. Die Kurzzeitpflege ist ein Angebot zum Beispiel am Wochenende, damit Familien mal Pause machen können. Eltern haben eigentlich den Anspruch auf 28 Tage, die Pflegekasse zahlt aber nur 1550 Euro insgesamt. Das Kindergästehaus bekommt 180 Euro pro Tag. Das heißt, nur achteinhalb Tage wären abgedeckt. Wobei die 180 Euro laut Caritas nicht kostendeckend sind. In Hamburg werden 360 Euro pro Tag gezahlt – die Stadt beteiligt sich dort besonders großzügig an der Kurzzeit.

Und noch ein Problem belastet die Eltern. So werde bei der Kurzzeit auch auf eingestreute Plätze in den Pflegeheimen gesetzt. Dass man letzteres Kindern zumutet, findet Beate Lachenmaier, die für behinderte Menschen zuständige Bereichsleiterin der Caritas, diskriminierend, auch wenn sie sich vorsichtiger ausdrückt: „Man muss auch behinderten Kindern zugestehen, unter Gleichgesinnten zu sein“, meint sie. „Unsere Kinder würde man schließlich auch nicht unter Erwachsene geben.“