Fast alle Fernsehsender haben in den letzten Jahrzehnten ihre Eigenproduktionen eingestellt, um Kosten zu sparen. Warum SWR und HR als letzte ARD-Sender dagegenhalten.

Stuttgart - Bis weit in die achtziger Jahre war es völlig selbstverständlich, dass die Fernsehsender ihre Programme selbst herstellten. Magazine, Reportagen, Filme und Serien wurden größtenteils auf dem eigenem Studiogelände produziert. Nur das ZDF war von Anfang so konzipiert, dass Filme und Serien zugeliefert wurden. Nach Gründung der Privatsender erlebte die Medienlandschaft einen tiefgreifenden Wandel. Fast alle Sender stellten ihre Eigenproduktionen ein, um Kosten zu sparen. Allein der Hessische Rundfunk produziert seine Fernsehfilme weiterhin ausschließlich selbst. Eine vergleichbare Situation gibt es beim SWR. Hier sind rund die Hälfte aller Fernsehfilme Auftragsproduktionen. Neben dem „Tatort“ stellt der SWR auch die Schwarzwaldserie „Die Fallers“ und einige Mittwochsfilme selbst her.

 

Das hat historische Gründe: Bei der Fusion 1998 haben SWF (Baden-Baden) und Süddeutscher Rundfunk (Stuttgart) einen Standortkompromiss ausgehandelt. Der SWF produzierte seine Sendungen traditionell selbst, also einigte man sich, die Produktionskapazitäten in Baden-Baden zu erhalten, während Intendanz, Verwaltung sowie die Produktion der aktuellen journalistischen Sendungen in Stuttgart angesiedelt wurden.

Der Vorteil der Eigenproduktion besteht nach Ansicht der Fernsehfilmchefin Martina Zöllner darin, dass sie die „produzentische Verantwortung“ trage: „Meine Redaktionskollegen und ich sind in Fragen wie Buch, Regie, Besetzung etcetera ganz unmittelbar involviert. Bei Auftrags- oder Koproduktionen fallen die Entscheidungen in der Regel gemeinschaftlich mit dem Produzenten.“ Außerdem könne sie Regisseure und Autoren „direkt bitten, Ideen für uns zu entwickeln“.

Ungewöhnliche Erzähl- und Prouktionsweisen

So habe der SWR unter anderem Axel Ranisch, Aelrun Goette oder Dietrich Brüggemann in den „Tatort“ geholt und mit ihnen ungewöhnliche Erzähl- und Produktionsweisen ausprobiert. Wichtig sei auch die Rechtefrage: „Gerade beim vielfach wiederholten ‚Tatort’ ist es von Vorteil, wenn maßgebliche Rechte beim Sender liegen.“ Quantitative Vorgaben gebe es nicht: „Die festangestellten Mitarbeiter sollen ausgelastet sein, aber andererseits sind uns bei den Eigenproduktionen natürliche Grenzen gesetzt, denn wenn wir zuviel selbst herstellen, müssten wir freie Mitarbeiter engagieren, wodurch zusätzliche Kosten entstünden.“ Zöllner schließt nicht aus, dass im Zuge des unvermeidlichen Stellenabbaus irgendwann auch die Zahl der Eigenproduktionen reduziert wird.

Beim HR liegen die Dinge etwas anders. Weil Hessen ein relativ kleines Bundesland ist, hat der Sender eine wichtige Identifikationsfunktion. Er genieße daher quer durch alle etablierten Parteien eine gewisse Unantastbarkeit, sagt ein Beobachter der Branche. Das habe dazu geführt, „dass der HR 97 Prozent seines Programms selbst herstellt. So etwas gibt es in dieser Form bei keiner anderen Anstalt in Europa.“

Für die Fernsehfilmchefin Liane Jessen stehen die Vorteile außer Frage: „Der Erfolg ist einfach größer, wenn alles in einer Hand bleibt. Je größer die Arbeitsteilung ist, desto mehr Energie muss man aufbringen, die Mitarbeiter immer wieder auf die Ursprungsidee einzuschwören.“ Nach dem Abbau der Eigenproduktionen hätten die Sender auf neue Impulse und frische Ideen aus der Branche gehofft. Das habe zehn Jahre lang funktioniert, aber dann habe sich der Effekt allmählich ins Gegenteil verkehrt, denn Produzenten offerierten „natürlich bevorzugt Stoffe, von denen sie glauben, dass die Fernsehsysteme sie brauchen.“

Das Geld spielt auch eine Hauptrolle

Ein extravaganter „Tatort“-Stoff wie der preisgekrönte Film „Im Schmerz geboren“ wäre der Redaktion wahrscheinlich nie angeboten worden, das sei ihr auch von Produzenten bestätigt worden. Deshalb betrachtet Jessen ihre Festanstellung als „Verpflichtung zum inhaltlichen Mut, niemand wird entlassen, weil er wilde Ideen hat, aber ein Produzent mit wilden Ideen hat es schwer am Markt“.

Ein wesentlicher Punkt bei der Diskussion über Eigen- und Auftragsproduktionen ist das Geld. Ein echter Kostenvergleich ist schwierig, weil die festangestellten Mitarbeiter nicht nur für die Fernsehfilmredaktion arbeiten. Konkret beziffern lassen sich daher nur die direkten Kosten, also Gagen, Mieten, Material, Bauten, der Rest sind Ausgaben für das angestellte Personal und somit indirekte Kosten. Außerdem ist die Herstellung eines Films in Berlin wegen der großen Konkurrenz bei den Produktionsfirmen preiswerter als etwa in Köln, wo die Unternehmen ausgelastet sind.

Auf die Signale kommt es an

Trotzdem gibt es beim WDR kaum noch szenische Eigenproduktionen; der Dauerbrenner „Lindenstraße“ ist eine letzte Erinnerung an die große Tradition des Senders. Die Serie funktioniere arbeitsteilig, erläutert Gebhard Henke, Leiter der Abteilung Fernsehfilm und Unterhaltung: „Der Produzent gibt einen kreativen Input, entwickelt mit der Redaktion die Bücher, engagiert Autor, Regisseur und Schauspieler; Kamera, Licht und Studio gehören hingegen dem WDR.“

Henke widerspricht auch Jessens Aussage, es würden keine innovativen Stoffe angeboten: „Das ist mir zu pauschal und ideologisch. Es kommt doch immer darauf an, welche Signale ein Sender in die Branche gibt. Die besondere Handschrift der HR-Filme ist untrennbar mit Liane Jessen verbunden und nicht nur mit der Produktionsform.“ Er ist ohnehin überzeugt, dass man es den ARD-Filmen nicht ansehe, ob sie als Auftrags- oder Eigenproduktion entstanden seien: „Die Produzenten sind ein kreativer, lebendiger Motor unserer Fernsehfilme und Serien. Davon profitieren wir alle, auch von der Vielfalt und der speziellen Handschrift, mit der ein Produzent ein Produkt prägt. Deshalb betrachte ich die Lebendigkeit der Produktionslandschaft als großen Reichtum. Der Produzent ist nicht der Feind des Senders, im Gegenteil.“