Die chinesische Regierung zieht die Zügel an: Westliche Einflüsse im Fernsehen sollen zurückgedrängt, dafür politisch gewollte Werte vermittelt werden.

Peking - Der Fernseher begleitet Frau An von morgens bis abends. „Wir machen ihn zum Frühstück an und dann läuft er, bis wir schlafen gehen“, erzählt die Pekinger Hausfrau. „Natürlich habe ich keine Zeit, immer hinzuschauen, aber wenn etwas Interessantes läuft, bekomme ich es mit.“ Ihre Hochhauswohnung ist klein genug, dass sie das Programm auch verfolgen kann, wenn sie in der Küche Gemüse schneidet oder im Schlafzimmer die Wäsche macht. Nur wenn die Tochter nachmittags Hausaufgaben macht, wird der Ton leise gestellt. Abends sitzt die Familie gemeinsam auf der Couch und sieht sich eine Serie oder Unterhaltungssendung an. „Am liebsten Castingsshows“, sagt An. „Da geht es um echte Menschen.“

 

Die Sehgewohnheiten der Familie gleichen denen der meisten Chinesen. In vielen Haushalten läuft immerzu der Fernseher, und aufs Sofa bannen die Zuschauer Programme, die nah am Leben sind: entweder Seifenopern oder Shows, in denen Partner, Jobs oder gute Ratschläge vermittelt werden. Doch neuerdings bemerkt An, dass die Fernsehmacher offenbar andere Interessen haben. „Es gibt jetzt mehr Nachrichten, Dokumentarfilme und Volksmusik“, hat sie beobachtet. „Ich habe das Gefühl, früher war das Programm besser.“

Besser vielleicht, aber für wen? Seit Monaten bemühen sich die Propagandabehörden darum, das wichtigste Medium des Landes, das annähernd hundert Prozent der 1,3 Milliarden Chinesen erreicht, patriotischer zu gestalten und stärker in den Dienst der Kommunistischen Partei zu stellen. Schritt für Schritt erlässt Peking derzeit neue Regeln. Vergangene Woche gab die Staatliche Verwaltung für Radio, Film und Fernsehen (SARFT) bekannt, dass ausländische Sendungen zur Primetime zwischen sieben und zehn Uhr abends nur noch höchstens ein Viertel der Sendezeit belegen dürfen.

Soziale Spannungen sollen nicht im Fernsehen auftauchen

Zum Jahresbeginn war außerdem die Zahl der TV-Shows stark eingeschränkt worden, von ehemals mehr als 120 auf nur noch 38. Bei den verbleibenden Sendungen stehen die Macher noch stärker als früher unter Druck, politisch korrekte Werte zu vermitteln. „Soziale Spannungen, vor allem zwischen Arm und Reich, sollen in den Shows nicht mehr zu spüren sein“, sagt ein ranghoher Redakteur des Provinzsenders Hunan TV, der bisher zu den progressivsten im Land zählte. „In Sitzungen wird uns immer wieder eingebläut, dass wir unser Publikum nicht nur unterhalten, sondern vor allem erziehen sollen.“

Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich in der Kuppelshow „Fei Cheng Wurao“ beobachten, derzeit die wohl beliebteste Sendung des Landes (Der Titel lautet in etwa: „Wenn du es nicht ernst mit mir meinst, lass mich in Ruhe“). In dem 2010 vom Provinzsender Jiangsu TV gestarteten Format müssen sich Singles den Fragen potenzieller Partner stellen. Den Reiz der Sendung machte das Aufeinanderprallen unterschiedlicher sozialer Schichten aus: Bauern trafen auf Banker, Wanderarbeiter auf Unternehmer – begleitet von zwei spitzzüngigen Moderatoren, die Chinas gewaltige Unterschiede lustvoll kollidieren ließen.

Doch so sehr der inszenierte Klassenkampf das Publikum fesselte, so sehr besorgte er die Parteioberen, die Angst haben, dass in den Einkommensunterschieden sozialer Sprengstoff liegt. Vergangenen Sommer ordneten sie an, dem Moderatorenduo eine Professorin der Parteihochschule zur Seite zu stellen, die auf gute Sitten achten soll. Gleichzeitig gab es ein Ultimatum: entweder die Show wird moderater oder sie wird abgesetzt. „Seitdem geht es in der Sendung sichtbar harmloser zu“, sagt der Redakteur aus Hunan. Sein eigener Sender musste vergangenes Jahr sein populärstes Format, die Castingshow „Super Girl“ einstellen, weil es den Zensoren zu „vulgär“ war. „Die Absetzung war in der Branche ein Zeichen, dass Peking es ernst meint“, erklärt er. „Es ist wie im Sprichwort: ‚Man tötet den Affen, um den Tiger zu erschrecken.‘“

Die Medien im Land haben einen großen Wandel hinter sich

Der Tiger ist vor allem die Fernsehindustrie, die sich zu einem lukrativen Sektor entwickelt hat. 18 Kanäle hat das Zentralfernsehen CCTV, dazu kommen rund 270 Provinzprogramme. Obwohl alle Sender an die staatlichen Pressebehörden angebunden sind, folgt das Programm großteils kommerziellen Erwägungen. „Vor ein paar Jahren wurden die Inhalte noch ausschließlich vom Staat bestimmt, inzwischen dominiert der Markt“, sagt Qiao Mu, Direktor der Journalismusfakultät an der Pekinger Fremdsprachenuniversität. „Dadurch haben die chinesischen Medien einen großen Wandel durchgemacht.“

Allein CCTV nahm im vergangenen November bei seiner jährlichen Werbeblockversteigerung 1,7 Milliarden Euro ein. Für das Geld durften die Werbepartner bei den Inhalten mitreden. Was nicht politisch verboten war, galt als erlaubt. So kamen neben zahlreichen Shows auch Hunderte Importfilme ins Programm, vor allem Action- und Schnulzserien. Auch deutsche Formate kamen so in China ins Fernsehen, darunter eine chinesische Version von „Wetten dass. . .?“, eine Adaption der „Knoff-Hoff-Show“ und „Derrick“. Doch den westlichen Einfluss sieht man in Peking zunehmend als Gefahr. Anfang des Jahres warnte Staats- und Parteichef Hu Jintao vor feindlichen Kräften aus dem Ausland, die China durch ihre kulturellen Einflüsse zu entzweien versuchen. Auch die Macht des Geldes soll eingeschränkt werden: Zu den neuen Regeln gehört, dass Fernsehfilme zur Primetime nicht mehr von Werbung unterbrochen werden dürfen. So sollen die Sender gedrängt werden, Inhalte auszustrahlen, die ihnen von der Zentrale günstig zur Verfügung gestellt werden: linientreue Historiensendungen etwa oder patriotische Fernsehgalas.

Inwieweit das Publikum dabei mitmacht, ist fraglich. Denn die Programmänderungen bleiben nicht unbemerkt, und viele Zuschauer wollen sie nicht einfach hinnehmen. So wird Frau An in ihrer Pekinger Wohnung zwar weiterhin jeden Tag von früh bis spät den Fernseher laufen lassen. Doch kürzlich hat ihr Mann auf dem Balkon eine kleine Satellitenschüssel installiert, mit dem man Sender aus Hongkong und Taiwan empfangen kann. „Genau genommen ist das zwar verboten“, sagt An, „aber so einfach, wie die Schüssel zu kaufen war, können wir nicht die Einzigen sein.“