Im Stuttgarter Schauspiel ist das fünftägige Festival „Terrorisms“ zu Ende gegangen. Staatsgewalt, Freiheitskampf, Bürgerrechte: das waren die Themen hochkarätiger Gespräche und Inszenierungen, die den Denk- und Erlebnishorizont erweitert haben.

Stuttgart - Aktueller konnte das Thema nicht sein. Die jüngsten Attentate in Tunesien, Kuwait und Frankreich platzten mitten hinein in das Festival, das sich seit vergangenen Mittwoch im Stuttgarter Schauspiel nur mit einem Gegenstand beschäftigte: Terrorismus, und zwar in allen seinen Facetten, weshalb die fünftägige Veranstaltung das Thema in den Plural gesetzt und sich den sperrigen Namen „Terrorisms“ gegeben hatte. Nachdem zum Auftakt kleine, aber äußerst geglückte Produktionen aus dem eigenen Haus zu sehen waren, präsentierten sich an den Folgetagen die Theater aus Oslo, Belgrad, Tel Aviv und Reims. Je weiter sie nun mit ihren jeweiligen Inszenierungen das Terrain des Schreckens absteckten, desto weiter wurde auch der Denkhorizont des Publikums – mit der Folge, dass feste Gewissheiten mehr und mehr brüchig wurden: Wo endet der Freiheitskampf? Wo beginnt der Terror? Hängt das nur vom Standpunkt des Betrachters ab? Und wie können wir uns vorm leibzerfetzenden Terror schützen, wenn er sich immer weiter nach Europa bombt?

 

Flankiert wurde das internationale Bühnentreffen von Gesprächsrunden mit Experten, die zum schier unübersehbaren Themenfeld tatsächlich Erhellendes beitragen konnten. Dazu gehörte neben der StZ-Veranstaltung „Theater x Wirklichkeit“ mit Sherko Fatah und Julian Nida Rümelin (siehe Seite 5) auch ein Podium zum letztgenannten Aspekt: „Freiheit und Sicherheit“, moderiert vom SWR-Journalisten Jörg Armbruster. Während Günther Beckstein, der ehemalige bayrische Ministerpräsident, dabei für eine Verschärfung der inneren Sicherheit warb, wies Wolfgang Neskovic, einst Richter am Bundesgerichtshof und für die Linken jahrelang im Bundestag, auf die Gefahren des Überwachungsstaats hin. Absolute Sicherheit gebe es nicht, das sei eine Chimäre: „Wir gehen ins Krankenhaus, obwohl wir wissen, dass dort jährlich 40 000 Menschen an Krankenhauskeimen sterben.“ Deshalb müssten wir uns damit abfinden, in einer Risikogesellschaft zu leben, in der noch mehr Kontrolle keinesfalls die Sicherheit erhöhe, sondern nur die Freiheitsrechte weiter einschränke. Eine Ansicht, die sich auch das Petras-Schauspiel in einer gespenstischen Großinstallation zu eigen gemacht hatte: Überall im Foyer hingen Kameras und überwachten die Festivalbesucher.

Selbstmordattentat im Restaurant

Was von Beckstein und Neskovic in der Theorie erörtert wurde, gewinnt andernorts eine täglich über Leben und Tod entscheidende Brisanz. „God waits at the Station“ hieß das Gastspiel des Habima-Theaters aus Tel Aviv, in dem auf hohem ästhetisch-intellektuellem Niveau die Hintergründe eines Selbstmordanschlags aufgeblättert wurden: Als die Bombe in einem Restaurant explodiert, segelt und rieselt aus dem Bauch der Frau nichts als verkohltes, schwarz verbranntes Laub. Das wahrlich Tragische dabei: auch hinter dem unmenschlichen Terrorakt stehen ursprünglich menschliche Empfindungen, die sich nicht nur auf der palästinensischen Seite regen, sondern auch auf der israelischen – und weil sich die Gefühle unglücklich überkreuzen, lösen sie jene Kausalkette aus, die im Massaker endet. Wer trägt die Schuld? Die in einem Flüchtlingslager lebende Attentäterin, deren todkranker Vater von den Israeli im Stich gelassen wurde? Oder die Grenzsoldatin, die Mitleid mit der scheinbar schwangeren Frau hatte und sie ohne Passierschein einreisen ließ?

Ja, mit Günther Beckstein an der Grenze wäre das nicht passiert. Das Habima-Theater aber macht es sich in seiner vielschichtigen Tatrekonstruktion nicht ganz so leicht. „God waits at the Station“ gibt keine schnellen Antworten, sondern stellt Ursachenfragen, die auf der abstrakten Bühne in konkrete moralische Dilemmas führen.

Mörder oder Volksheld?

Mit ähnlicher Ernsthaftigkeit näherten sich auch die Serben dem Terror-Thema. In „Dragonslayer“ tauchten sie in die Geschichte des Balkans ein, um die Schüsse vom 28. Juni 1914 zu erklären. Damals erschoss Gavrilo Princip in Sarajevo den österreichisch-ungarischen Thronfolger und löste damit die Julikrise aus, die in den Ersten Weltkrieg mündete. Bei uns gilt Princip als Terrorist, in Serbien wird der „Drachentöter“ als Volksheld verehrt, der die slawischen Bauern von Fremdherrschaft und Unterdrückung befreien wollte. Dass es auch für diese Sicht gute Gründe gibt, belegte das Theater aus Belgrad mit einer grotesken Schulstunde, die kurzweilig, souverän und triftig mit clownesker Zirkusrevue und Brecht’schem Lehrtheater jonglierte.

All diese Tugenden aus Belgrad und Tel Aviv – Souveränität, Kurzweil, Triftigkeit – fehlten indes dem Nationaltheater Oslo. „We chew on the Bones of Time“ bot Zeitgeistgelaber, das mit seiner Banalität auf die Nerven ging und den Schluss zuließ, dass ein saturiertes Land wie Norwegen selbst durch einen Massenmord wie auf der Insel Utoya 2011 nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Aber auch das gerinnt bei diesem verdienstvollen Stuttgarter Terrorismus-Festival noch zu einer Erkenntnis: Wem was auf den Nägeln brennt, lässt auch auf der Bühne das Spielfeuer lodern. Krisenländer machen das bessere Theater.