Das fünfte Vive-la-Vie-Festival auf dem Killesberg erschafft am Samstag im Zirkuszelt ein paar Stunden lang eine Welt, wie man sie sich wünscht. Um Politik geht's nur einmal - beim "Schwarzen Afghanen". 

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - In der laufenden Diskussion über Stuttgarter Spielstätten für Popmusik sollte man das Feierabendkollektiv als leuchtendes Beispiel popmusikalischer Selbstermächtigung nicht vergessen. Das Singer-Songwriter-Kollektiv macht seit Jahren vor, wie man einfach selbst die Art von Konzerten in relevanter Zahl auf hiesige Bühnen bringt, die man selbst gerne besuchen oder selbst spielen möchte. Mit Reihen wie dem Feierabendkonzert in der Spinnerei in Esslingen oder dem Feierabendlauschen im Fais Dodo sowie dem kürzlich neu begründeten Staub und Sterne im Theater am Olgaeck bietet man den eigenen Leuten, aber auch zahlreichen Gästen einen jeweils sehr hübschen Rahmen für angenehme, nachdenkliche, tendenziell ruhigere Musik.

 

Fix- und Höhepunkt des Kollektivs ist das Vive-la-Vie-Festival, benannt nach und eröffnet von einem Song des Kollektiv-Mitgründers Max François. Bei der fünften Auflage, der vierten im Zirkuszelt am Killesberg, setzt dieser Song wieder den Ton: Vive la vie, der Winter ist vorbei, oder zumindest blenden wir ihn jetzt aus. Dass es dieses Jahr zumindest ein paar Grad wärmer ist als bei der bitterkalten 2016er-Ausgabe, macht es der Vorstellungskraft ein wenig leichter.

Klatsch' den Winter weg

Das Zelt ist erneut ausverkauft, das Publikum wieder von Anfang an in der richtigen Stimmung. Den Winter draußen singt, summt, klatscht man bereitwillig weg, die drei Gast-Acts haben sich darauf schon eingestellt: Jakob Mayer aus Mannheim, der mit eher höchst norddeutschem Humor einen wunderbaren Einstand bietet, Johannes Kubin mit seinem gut gelaunten Bühnenpartner Francesco der Rosa und die Stuttgarter Band Anna Mo, bei der es fast sogar ein bisschen zu viel ist mit der guten Laune. Man denkt bei deutschsprachigem Pop derzeit ja gern an Jan Böhmermanns Affen-Video. Die vollkommen berechtigte Kritik des Comedians verfängt bei den Vive-la-Vie-Künstlern aber nicht. Deren Musik wird nicht aus Kalkül heraus gemacht, jedenfalls wenn man die Absicht, das Publikum fröhlich zu machen, nicht dazu zählt. 

Fröhlich will hier jeder sein. Im Zelt ist es warm, heimelig, hier ist man geschützt vor der Welt da draußen. Das ist dieses Jahr nicht anders als in den Jahren davor, aber wer den Kontext mitdenken will, der kann das Vive la Vie auch als Rückzug deuten in eine selbstgemachte Welt, in der es freundlich zugeht. Politik und Proteste kann man sich für den 1. Mai noch aufsparen. 

Mal wieder der Schwarze Afghane

Politisch wird es nur ganz kurz beim vierten Act, dem gastgebenden Feierabendkollektiv selbst. Vier der acht Mitglieder haben sich auf die Bühne gesetzt, der wieder einmal genial überdrehte Albert Schnauzer besingt den Schwarzen Afghanen - nicht die Ambros-Version, die Der Nino aus Wien und Ernst Molden kürzlich im Merlin besungen haben, sondern die ironisierte Schnauzer-Variante. Für die, die es nicht verstehen, weist Schnauzer darauf hin, dass dieses Lied nichts mit Ausländern zu tun habe - und zwinkert dabei so schön mit den Augen, dass man etwas wehmütig daran denkt, dass auf den jetzt anbrechenden Frühling ein Wahlkampf-Sommer folgen wird, in dem das Wort Afghane eher in ganz anderen Zusammenhängen thematisiert werden wird.

Noch ist es nicht soweit, noch werden im Zirkuszelt mehrfach die Melodica gespielt, eine Spielzeugtrompete benutzt, fährt ein echter Kehrbesen über die Trommel, singt der Feierabendkollektivero Omid Gollmer plötzlich auf Steirisch, dudelt draußen scheinbar ewig die Karussellmusik. Nenn' es Biedermeier, die Leute hier pfeifen drauf. Nicht nur für den langen, langen Winter könnte das die richtige Strategie sein.

Mehr zum Pop in der Region Stuttgart gibt's bei kopfhoerer.fm - auch auf Facebook.