Als der Klavier-Jungstar Daniil Trifonov und der Dirigent Riccardo Chailly in Baden-Baden zusammenkamen, sind sie nicht wirklich zusammengekommen. Dennoch war es ein musikalisches Ereignis der Extraklasse.

Baden-Baden - Freiheit! In seinem – einzigen – Klavierkonzert sprengt Robert Schumann das enge Korsett des klassischen Solistenkonzertes, gibt das Prinzip zweier wetteifernder Themen auf, das fast eineinhalb Jahrhunderte lang die sogenannte Sonatenhauptsatzform bestimmte, und auch die tradierte Abfolge von Exposition, Durchführung, Reprise und Coda ist 1845 nurmehr eine leere Hülle. Ausgehend von einem schlichten großen Terzschritt abwärts, bricht sich eine einzelne, große Idee Bahn, und als am Freitagabend der zurzeit spieltechnisch vielleicht beste und gestalterisch spannendste Pianist, Daniil Trifonov, das a-Moll-Klavierkonzert im Festspielhaus Baden-Baden gab, war rasch klar, dass hier ein großes, besonderes Individuum Schumanns große Idee aufgreift, spiegelt und variiert. Dass sich ein Entfesselter einer Grenzen sprengenden Musik annimmt.

 

Zunächst einmal hat der 25-jährige Russe die Musik indes vor allem gebändigt. Extrem langsam beginnt der erste Satz – wobei es ist nicht ganz klar ist, ob nicht auch Riccardo Chailly am Pult des Orchesters der Mailänder Scala dies einfordert. Das Tempo ist problematisch, weil es den musikalischen Fluss der Aneinanderreihung schöner Momente opfert. Zwar hat der Pianist so reichlich Gelegenheit, die Vielfalt der Klangnuancen vorzuführen, die sein mal samtig-katzenpfotiger, mal geradezu federleicht-wattiger und mal auch kristallklar scharfkantiger Anschlag möglich macht. Sie lässt das Stück aber auch statisch wirken, episodisch; das Material zerfällt, und aus Momenten werden Ewigkeiten.

Solist und Dirigent spielen bei Schumann eher neben- als miteinander

Man kann dies als konsequente Fortspinnung von Schumanns musikalischem Befreiungsakt sehen. Man kann aber auch den Verlust der Geschichte betrauern, die in diesem Konzert erzählt wird. Zwar gestaltet Trifonov einzelne Motive enorm spannend, aber sie hängen doch irgendwie in der Luft, und dieser Eindruck entsteht auch dadurch, dass Orchester und Solist eher neben- als miteinander spielen. Die heiklen Übergänge dieses Stücks: Auch bei diesem Duo geraten sie nicht wirklich präzise. Angemessen ist es auch nicht, wenn die üppig (mit acht Kontrabässen, zwölf Celli, 16 ersten Geigen) besetzten Streicher immer wieder den Pianisten akustisch zudecken. Chailly will, so erklärt man sich das, ein singendes Orchester, und das präsentiert sich zu Beginn des Abends bei Schumanns „Manfred“-Ouvertüre tatsächlich vollkommen überzeugend, auf feinste Weise plastisch durchgeformt. Im Klavierkonzert jedoch ist die Orchestermasse zu dick. Und wären Riccardo Chailly und Daniil Trifonov nicht im Finale auf so feinnervige, hoch spannende Weise zusammengekommen, hätten sie hier nicht – endlich! – die viel zu lange angezogene Handbremse gelockert, so hätte man meinen müssen, dass sich da zwei Alphatiere vergebens aneinander abarbeiten. Freiheit: ja. Gleichheit, Brüderlichkeit: bloß das nicht!

Glänzende Akzente setzen Pianist und Dirigent noch alleine: Trifonov mit einem jener augenzwinkernd zwischen Banalität und virtuoser Hinterfotzigkeit tänzelnden Präludium-und-Fuge-Pärchen Schostakowitschs (op. 87), Chailly mit Schumanns hier fast streng wirkender zweiter Sinfonie, fein phrasiert und überaus plastisch, ja fast theatralisch durchgeformt, mit Klang-Momenten, die wirken wie aus Stein gemeißelt. So endet der Abend zweier Königskinder, zwischen denen das Wasser sehr tief ist. Der Jüngere verneigt sich wie immer ein wenig steif und linkisch, der Ältere gibt sich als Maestro. Ein merk- und denkwürdiges Ereignis.