Im Gewerbegebiet Tränke stehen die Feuerwehrleute rund um die Uhr bereit, um an Orte zu eilen, von denen andere nur noch wegwollen. Menschenleben zu retten ist ihnen wichtiger als der künftige Standort ihrer Wache.

Degerloch - Klaus Rist bemerkt den Alarm im Augenwinkel. Die Lampe an der Decke blinkt. Er läuft zur Fahrzeughalle. Und da kommt schon ein Feuerwehrmann die Stange heruntergerutscht, er eilt zu dem Auto mit der Drehleiter, steht im nächsten Moment in Boxershorts da und schlüpft in die Stiefel und die Einsatzhose, die vor der Fahrertür bereitliegen. Es geht alles sehr flink, doch es ginge noch weitaus flinker. Am Tempo kann Klaus Rist ablesen, dass niemand in Lebensgefahr schwebt. Der Dienststellenleiter bei der Feuerwache im Degerlocher Gewerbegebiet Tränke schätzt, dass jemand aus einem oberen Stockwerk geholt werden muss; vielleicht weil er zu beleibt ist, um noch selbst die Treppen gehen zu können.

 

Autounfälle und „Katze auf dem Baum“

Brennende Häuser sind immer seltener der Grund dafür, dass die Feuerwehr ausrücken muss. Das hat nicht zuletzt mit den verschärften Brandschutzbestimmungen zu tun. Häufiger sind hingegen Autounfälle, Überschwemmungen oder „Katze auf dem Baum“, wie Klaus Rist sagt.

Die Filderfeuerwache in der Tränke ist bestens gerüstet für den Ernstfall. Klaus Rist braucht eine Stunde, um die technischen Raffinessen in den Bäuchen der Löschzüge wenigstens zu streifen. In so einem Feuerwehrauto ist in den Schubladen und Halterungen irgendwie alles verstaut: Schläuche, Motorsäge, Bohrmaschine, Flutlicht, Gummistiefel, Leichentuch, Notstromaggregate, Bolzenschneider, Axt – „halt das Übliche“, sagt Klaus Rist. Das

Klaus Rist Foto: Sägesser
Übliche in seiner Welt. Er macht diesen Job seit drei Jahrzehnten und bereut keinen einzigen Tag. Doch in seinen Augen steht geschrieben, dass er schon viele Dinge gesehen hat, Dinge, die andere wohl nicht ertragen würden.

Manche Gerätschaften der Degerlocher Feuerwache sind noch nie zu dem Einsatz gekommen, für den sie konstruiert worden sind. „Gott sei Dank“, sagt Klaus Rist. Zum Beispiel das Katastrophenfahrzeug. In seinem Inneren befinden sich Zelte, Liegen und unzählige Hilfsmittel. Würde etwas unsagbar Schlimmes passieren, könnten die Feuerwehrleute damit 50 Verletzte in der Stunde versorgen. Eine gute halbe Stunde Vorlaufzeit brauchen sie, um alles aufzubauen. „Das müssen die alles können, zu jeder Sekunde des Tages“, sagt Klaus Rist und meint die Männer und paar wenigen Frauen. Das heißt: üben, üben, üben. Die zusätzliche Herausforderung: Alles ist im Fluss, was heute gilt, ist morgen vielleicht schon passé. „Bei der Feuerwehr verändert sich immer was.“ Langweilig wird es hier bestimmt keinem, betont der Chef.

Eben diese Fantasie käme bei Außenstehenden immer wieder auf: dass Feuerwehrleute in den Zeiten, in denen keiner die „112“ wählt, die Beine hochlegen. In der Feuerwache gibt es immer was zu tun. Sie ist ein Kosmos für sich, mit Werkstätten, in denen unter anderem Stühle repariert oder neue Regale gezimmert werden, mit Putz- und Küchendienst, und gerade fahren zwei Männer los, um Holz zu besorgen.

Eine der Werkstätten Foto: Sägesser
Natürlich gönnen sich die Feuerwehrleute auch mal eine Pause, grillen vielleicht im Hof, kicken auf dem Rasenplatz oder legen sich im Schlafraum mit dem Charme einer Jugendherberge eine Runde aufs Ohr. Jeder von ihnen ist in der Regel für 24 Stunden im Einsatz, in dieser Zeit stellen sie sich ganz in den Dienst der Allgemeinheit. Sobald ein Alarm eingeht, lassen sie alles stehen und liegen und eilen an Orte, von denen andere nur noch wegwollen. Menschenleben zu retten, steht für sie an oberster Stelle. Das ist ihnen letztlich viel wichtiger als die Frage, von welchem Standort sie künftig ausrücken werden. Ob von Degerloch aus oder doch von Möhringen.

Seit Jahren soll die Wache nämlich neu gebaut werden, sie ist aus den sechziger Jahren. Bis vor Kurzem war die Stadt unschlüssig, ob am bestehenden Standort gebaut werden sollte oder in Möhringen an der Sigmaringer Straße, auf dem Gelände des Armaturenherstellers Hansa. Inzwischen ist eine dritte Fläche im Gespräch. Gleich neben Hansa betreibt die EnBW ein Regionalzentrum. „Die Stadt weiß um unser Bemühen, den Standort zu räumen“, sagt ein Sprecher. „Momentan sind wir noch intensiv auf der Suche nach einem geeigneten Alternativstandort.“ Gerne sei man bereit, mit der Stadt ins Geschäft zu kommen. Über den Stand der Verhandlungen äußert sich die EnBW nicht.

Eine Kostenschätzung nach der anderen

Schon 2005 kam ein Gutachten zu dem Schluss, dass die Wache saniert werden muss. Die Experten gingen von Kosten in Höhe von fünf Millionen Euro aus. Geschehen ist nichts. 2009, ein neues Gutachten, eine neue Kostenschätzung. Eine Sanierung würde zehn Millionen Euro kosten, ein Neubau 15 Millionen. Geschehen ist nichts. 2012 nahm die Verwaltung Verhandlungen auf mit der EnBW sowie der Bouwfonds Immobilienentwicklung, die das Hansa-Areal gekauft hatte. Die EnBW, eigentlich der Wunschkandidat der Stadt, sprang ab. Bouwfonds wiederum wollte die ihr gehörende Fläche so dicht wie möglich mit Wohnungen bebauen und im Gegenzug der Stadt die benötigten Quadratmeter überlassen. Einig wurde man sich nicht.

2013 – neue Kostenschätzung. Ein Neubau an der Sigmaringer Straße würde bis zu 26 Millionen Euro kosten. Die alte Feuerwache Stück für Stück abzureißen und wieder neuzubauen, würde bis zu 20 Millionen Euro kosten. Und seit Kurzem also will auch wieder die EnBW ihr Gelände verkaufen. Nun soll eine neue Kostenschätzung her – die vierte. Die zwei Neubaustandorte an der Sigmaringer Straße und der alte Standort in der Degerlocher Tränke sollen miteinander verglichen werden.

Verwaltung hält sich bedeckt zum Thema

Intern heißt es, die Zahlen werden Ende August dem Finanzbürgermeister Michael Föll vorliegen. Die Stadträte, die letztlich die Entscheidung treffen, werden sie wohl im Oktober zu Gesicht bekommen. In der Verwaltung hält man sich bedeckt zum Thema. „So viel kann man schon sagen: Das Bauen am bisherigen Standort käme teurer“, sagt Hans Knieriem vom städtischen Hochbauamt.

Wie auch immer: Eine Feuerwache im Gewerbegebiet hat auf jeden Fall ihre Vorteile. Hier wecken die Löschleute niemanden, wenn sie mitten in der Nacht mit Blaulicht und Tatütata losbrausen. Steht die Feuerwache neben Wohnhäusern, birgt dies Konfliktstoff – und letztlich zusätzlichen Stress für die Retter in der Not. Und auch wenn sie vom Einsatz zurückkommen, muss getan werden, was getan werden muss. „Wenn wir um 4 Uhr früh hier ankommen, müssen wir die Autos waschen und alles verräumen“, sagt Klaus Rist. Wenn nötig bei Flutlicht. „Das kann nicht bis zum Morgen warten.“ Schließlich könnte gleich der nächste Alarm eingehen.

Die Decke der Wagenhalle ist langsam zu niedrig

Im Alltag macht sich das Alter der Wache bemerkbar. Zum Beispiel ist die Decke der Wagenhalle für die immer größer werdenden Fahrzeuge langsam aber sicher zu niedrig. Und für ein neues Bad, in dem sich die Feuerwehrleute nach einem harten Tag duschen können, mussten sie lange kämpfen, erzählt Klaus Rist.

Das Geld fehlt eben auch bei der Feuerwehr an allen Ecken und Enden. Mit ihrer 23-Mann-Schicht seien sie am absoluten Limit, weniger gehe nicht, sagt der Dienststellenleiter. Ein sichtbarer Beweis für die Personalknappheit: Sind alle Feuerwehrleute auf einmal unterwegs, „ist die Wache entblößt“, sagt Klaus Rist. Spontanbesuch klingelt dann vergeblich. Früher gab es jemanden, der saß rund um die Uhr im Erdgeschoss vor dem Fahrzeugmagazin. Er wurde wegrationalisiert, übrig geblieben ist nur noch sein Stuhl, das Funkpult, zig Telefone, ein Locher, zwei Ordner und ein bisschen Krimskrams.

Die Schlüssel stecken schon im Zündschloss

Es sind die Kleinigkeiten, die im Ernstfall Zeit sparen. Die Türen der Fahrzeuge stehen immer offen, Hosen und Stiefel liegen als Häufchen davor, die Schlüssel stecken im Zündschloss, die Navis sind an. Da fehlt nur noch die menschliche Besatzung. Das gilt für die Feuerwehrautos wie für die Notarztwagen, die seit einiger Zeit in der Degerlocher Feuerwache stationiert sind.

Klaus Rist beobachtet, wie das Tor hochgeht und sich das Auto mit der Drehleiter in Bewegung setzt. Es überrollt die Turnschuhe, die der Kollege eben hastig abgestreift hat. Das Fahrzeug biegt um die Ecke, dann ist es still. Wer weiß, wie lang.