Die Höhenretter der Degerlocher Berufsfeuerwehr haben am eingerüsteten Turm der Petruskirche in Gablenberg geübt. Dabei bargen sie einen Verunglückten von ganz oben auf dem Baugerüst und seilten ihn auf einer Trage ab.

Degerloch - Wenn man in 30 Metern Höhe nur von ein paar dünnen Seilen gehalten außen an einem Baugerüst hängt und es fängt an zu hageln, darf man schon einmal fluchen. Auch dann, wenn das Baugerüst den höchsten Kirchturm Stuttgarts umgibt. Zum Glück hat der Hagelschauer an jenem Vormittag über Gablenberg nur wenige Sekunden gedauert. Mit dem nachfolgenden Regenguss konnten die Höhenretter der Stuttgarter Berufsfeuerwehr – mit Sitz in Degerloch – dann schon besser umgehen, egal aus welcher Höhe sie sich gerade abseilten.

 

Der Wetterhahn dreht sich in 67,4 Metern Höhe

Die Gablenberger Petruskirche drängt sich zurzeit geradezu als Übungsobjekt für die Höhenrettungsgruppe auf. Der Kirchturm ist stolze 67,4 Meter hoch und gilt als höchster Kirchturm in Stuttgart. Zum Vergleich: Der Westturm der Stiftskirche ist 61 Meter hoch.

Der Turm der Petruskirche ist seit vielen Wochen bis ganz hinauf zum Wetterhahn eingerüstet. Grund dafür sind die gravierenden Schäden an der Fassade. Schon vor zwei Jahren lösten sich einige Schindeln und gefährdeten Passanten auf der Gablenberger Hauptstraße. Auch danach bröckelte es immer wieder einmal, sodass dringend etwas getan werden musste.

Als vor zwei Jahren die losen Schindeln gesichert werden mussten, war kurz überlegt worden, ob das die Höhenrettungsgruppe der Stuttgarter Feuerwehr übernehmen sollte. Damals war Jürgen Küstner, sozusagen der Chef-Höhenretter und Ausbilder, auf den Petruskirchenturm aufmerksam geworden.

Die Drehleiter kommt nur 30 Meter hoch

„Ein Turm ist für uns immer interessant“, sagt Küstner jetzt auf dem Baugerüst auf Höhe der Turmuhr, während sich außen am Gerüst zwei seiner Kollegen abseilen. „An unserem Schlauchturm in Degerloch kennen wir inzwischen alle kritischen Punkte, deswegen halten wir immer Ausschau nach neuen Übungsobjekten.“ Der Gablenberger Kirchturm ist deswegen interessant, weil das Baugerüst höher ist, als eine Drehleiter reicht. Die schafft es nur etwa 30 Meter hoch. Außerdem verjüngt sich das Gerüst entsprechend dem Kirchturm nach oben hin, auch der außen am Gerüst angebrachte Bauaufzug reicht nicht bis ganz oben. Also ein geradezu perfektes Übungsobjekt für die absolut schwindelfreien Retter.

Die Höhenrettungsgruppe der Berufsfeuerwehr ist in der Feuerwache 5 in Degerloch angesiedelt, insgesamt 36 Retter gehören dazu, sie arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb. Wie alle Feuerwehrleute müssen auch sie immer wieder üben und sich fortbilden, die Höhenretter allerdings ein paar Stunden mehr pro Jahr. Während in anderen Bereichen 72 Stunden Fortbildung Pflicht sind, müssen die Höhenretter 90 Stunden lernen und üben.

Die Übung am Kirchturm zählt dazu. Ziele dabei sind unter anderem Höhengewöhnung, Realitätsnähe und Training der körperlichen Belastbarkeit. Gearbeitet wird in der sogenannten Zwei-Seil-Technik, zur Standardausrüstung gehören Auffanggurte mit Sicherungssystem, Karabiner, Bandschlingen, Trage und auch ein Reserveseil. Das Übungsszenario: Ganz oben am Baugerüst verletzt sich ein Bauarbeiter so schwer, dass er nicht mehr selbst absteigen kann. Der Bauaufzug kann auch nicht benutzt werden. Die Retter müssen zunächst ihre Ausrüstung nach oben schaffen. Dann müssen die belastbaren Punkte am Gerüst identifiziert werden, an denen die Seile sicher befestigt werden können. Wenn alle Vorbereitungen getroffen sind, wird die verunglückte Person auf der Rettungstrage fixiert, mit dem Seilsystem verbunden und zusammen mit einem Retter abgeseilt. Oben an den Seilen ist der Einsatzführer, die Retter sind in permanentem Funkkontakt miteinander.

Die erste Rettungsaktion wird nur zweimal kurz unterbrochen: einmal durch den Hagel, einmal, weil sich die Trage in einem herausragenden Gerüstteil verhakt. Beides ist aber kein größeres Problem. Diese Übung wird nicht die einzige am Turm der Petruskirche bleiben. Das Gerüst wird voraussichtlich noch bis kommendes Jahr stehen bleiben, die Reparaturarbeiten an der Fassade werden jetzt erst ausgeschrieben. Da bleiben Jürgen Küstner und seinen Teams noch viele Übungsstunden.