Das Ergebnis der Wahl zum Sozialbürgermeister am Donnerstag hat weit reichende Auswirkungen auf die Kommunalpolitik der Stadt Stuttgart.

Stuttgart - Am Donnerstag wird im Gemeinderat die Nachfolge von Gabriele Müller-Trimbusch (FDP) geregelt. Bei der Wahl geht es aber um mehr als nur um die Neubesetzung des Sozialbürgermeisterpostens. Sie gilt als Fingerzeig dafür, ob die Fraktionen eine Basis für ein konstruktives Miteinander finden, oder ob sich die seit der Kommunalwahl 2009 zu beobachtende Lagerbildung verhärtet. Letzteres droht, falls nicht die Grünen als stärkste Fraktion ihren Anspruch auf den Posten durchsetzen können, sondern die FDP-Bewerberin Isabel Fezer gewählt würde. Der Fall hat bekanntlich deshalb besondere Brisanz, weil Werner Wölfle gegen sie antritt. Als Chef der Grünen-Fraktion und Frontmann der Stuttgart-21-Gegenbewegung wird er vom bürgerlichen Block für den Verlust ihrer absoluten Mehrheit im Rat verantwortlich gemacht.

Wölfle müsse verhindert werden, sagt auch Wolfgang Schuster (CDU), der persönlich ein Problem mit dem Grünenchef hat. Es heißt, der OB habe in Einzelgesprächen die CDU-Stadträte zu überzeugen versucht, die Juristin zu wählen - auch wenn deren Qualifikation im Rathaus in Zweifel gezogen wird. "Unwählbar" sei sie, sagen Beamte im Sozialreferat, in Gesprächen habe es ihr an Kompetenz gemangelt.

CDU-Fraktionschef Fred-Jürgen Stradinger meint dagegen, die 50-Jährige aus Konstanz, die von 1996 bis 2004 in der 30.000-Einwohner-Stadt Radolfzell Sozialdezernentin war (danach wurde der Posten gestrichen), und sich aktuell in der Landesvertretung in Berlin um Europafragen kümmert, sei nicht nur kompetenter als Wölfle; sie habe auch den Vorteil, dass sie den Blick auf die Stadt von außen habe. Das hat die CDU anfangs auch an Iris Magdowski geschätzt, die 1997 vom damaligen Kreischef Christoph Palmer aus Duisburg nach Stuttgart gelockt worden war, um das Sport- und Kulturreferat zu leiten. Nach acht unglücklichen Jahren heißt es heute, dies sei sein größter Fehler gewesen - und nicht die Ohrfeige gegen den Parteifreund Joachim Pfeiffer.

Wölfle ärgert sich über Stradingers Einschätzung: "Er kennt doch meine Vita. Ich habe das soziale Handwerk von der Pike auf gelernt und kenne nach 20 Jahren als Sozialpädagoge bei der Caritas in der Jugendhilfe und nach zwölf Jahren als Fraktionschef alle sozialen Netze und handelnden Personen." Stradinger wisse auch, "dass ich als Bürgermeister nicht Gefahr liefe, auf Betroffenheitslyrik hereinzufallen, da ich auf allen entscheidenden Ebenen zu Hause bin".

Rot und Grün stimmen für Wölfle


Die FDP sieht gleichwohl das Vorschlagsrecht bei sich. Die Gemeindeordnung sagt lediglich, die Zusammensetzung des Gemeinderats müsse sich auf der Bürgermeisterbank widerspiegeln. Der FDP stünde demnach ein Posten zu - den Grünen allerdings mittlerweile drei. Nach dem d'Hontschen Auszählverfahren wäre die Öko-Partei an der Reihe. Die FDP hat nun gemeinsam mit den Freien Wählern nach Möglichkeiten gesucht, Wölfle zu diskreditieren. Sie unterstellen ihm, sich nicht ausreichend von den Attacken mutmaßlicher Stuttgart-21-Gegner gegen Einrichtungen der Bahn distanziert zu haben. Dabei hatte er stets betont, der Protest sei nur deshalb erfolgreich, weil er von einer breiten Schicht der Bürger getragen werde und friedlich sei. "Ich habe zudem klar gemacht, dass wir keine gewalttätigen Trittbrettfahrer dulden."

Nicht jede Aussage des 57-Jährigen ist zitierfähig, und wegen seines mitunter dominanten Führungsstils wäre wohl mancher Parteifreund froh, das Fossil würde sich endlich auf die Bürgermeisterbank verabschieden, um ihm die Möglichkeit zur Profilierung zu geben. Ihn aber mit dem Schwarzen Block in Verbindung zu bringen, erscheint sogar vielen politischen Gegnern weit hergeholt.

Dem Stadtratskollegen eine Wesensprüfung abzuverlangen, ist aber auch der SPD eingefallen, die wegen ihrer Sympathie für Stuttgart 21 ein tiefes Tal durchschreitet. Der scheidende OB von München, Christian Ude, rät ihr dringend, nicht anderen dafür die Schuld zu geben, sondern Profilschärfung zu betreiben. "In Stuttgart interessiert man sich schon gar nicht mehr dafür, wen die SPD bei der OB-Wahl 2012 ins Rennen schickt", hat er festgestellt.

Weil Rot aber für Grün stimmen will, steht es vor der Wahl unentschieden. 30 Stadträte sind wohl für den Grünen, 29 sowie OB Schuster gegen ihn. Bliebe es nach zwei Wahlgängen dabei, würde das Los entscheiden. Der 1. FC Köln ist auf diesem Weg 1965 aus dem Europapokal geflogen. In Stuttgart wurde ein Chefarztposten im Olgahospital auf diese Art besetzt. Wölfle muss zwingend auf Abweichler aus der CDU hoffen, weil er sich - anders als Fezer - geweigert hat, den "Republikaner"-Stadtrat zu konsultieren und deshalb nicht mit dessen Stimme rechnen kann.

Föll arbeitet aus taktischen Gründen gegen Grün


Die CDU hat in der vergangene Woche offen abgestimmt. Alle waren für Fezer. Deren Auftritt an Gründonnerstag hat demnach alle überzeugt, auch jene, die sich gar kein Bild machen konnten, weil sie nicht dabei gewesen sind. In der Wahlkabine werden sie unbeobachtet ihr Kreuzle machen und für sich klären, was zielführender wäre: Den mitunter bissigen Wölfle auf die Verwaltungsseite zu loben, wo er höchstens noch den Stubentiger geben könnte, und damit den Grünen eine veritable Führungskrise zu bescheren - oder ihm die Chance zu geben, sich als Opfer einer Postenschacherei bezeichnen zu dürfen. Tritt Letzteres ein, müsste CDU-Fraktionschef Stradinger erklären, warum er mit 15 Sitzen weiter Anspruch auf die Wiederwahl seiner drei Bürgermeister erhebt, wenn er den Grünen mit 16 Mandaten weiter nur einen zugesteht.

Die treibende Kraft ist aber nicht der mutlose Fraktionschef, sondern der CDU-Kreisvorsitzende Michael Föll. Vor einigen Monaten war er noch für Wölfle als Bürgermeister, jetzt hat er die Grünen aus taktischen Gründen als engen Bündnispartner abgeschrieben und zum Gegner erklärt. Noch zwei Niederlagen, bei der Landtagswahl 2011 und bei der OB-Wahl 2012, "und die CDU wäre auf lange Sicht nicht mehr prägende Kraft", sagte Föll kürzlich. Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die Stuttgarter CDU so viele Anhänger, wie Untertürkheim Einwohner hat. Deshalb ist klare Kante gefragt. Schwarz-Grün war einmal, jetzt heißt es Schwarz-gegen-Grün, Frischluftschneisen gegen Investoreninteressen. Damit der Bürger zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, hat er die Grünen zur Steuererhöhungspartei erklärt. Das war aber, bevor Föll als Kämmerer die Waffensteuer vorgeschlagen hat.

Seine Partei wirkt indes programmatisch und personell ausgezehrt. Das zeigt die Personalie Roland Schmid. Der 54-Jährige war nach nur einer Periode aus dem Landtag gewählt worden, die Sitzungsgeldaffäre hat ihn dann auch das Stadtratsmandat gekostet. Nun will er wieder ran. Obwohl sich Föll bei der Kandidatenkür für die Landtagswahl gezwungen sah, mit seinem Rücktritt im Fall von Schmids Wahl zu drohen, kam dieser auf achtbare 156 Stimmen. Das waren 156 Ohrfeigen für Föll, dessen Vertrauensfrage viele überforderte. Denn war es nicht er gewesen, der ihnen im Vorjahr ans Herz gelegt hatte, Schmids Ehefrau auf einen guten Platz auf der Gemeinderatsliste zu setzen?

Am Bemühen, den Grünen Paroli zu bieten, fehlt es nicht. So haben der Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann und der Wirtschaftsförderer Klaus Vogt ein Revitalisierungsprogramm mit dem Titel "Großstadt-CDU vor neuen Herausforderungen - Wie erreichen wir die Bürger in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld?" präsentiert. "So gewiss nicht", urteilten Parteifreunde nach der Lektüre vernichtend. Weil Migranten wählen dürfen, will man nun auch mit ihnen reden, etwa über den Bau einer Moschee. In Seniorenheimen sollen Vorleseabende stattfinden, in Mehrgenerationenhäusern will man Frauen zum Frühstück einladen. Es ergeht zudem der Vorschlag, "CDU-nahe Vereinsvertreter zum Parteieintritt zu bewegen".