Boris Vians surrealer Kultroman „Der Schaum der Tage“ wird auf der Bühne des Stuttgarter Figurentheaters Fitz in starken Bildern erzählt. Eine Seerose spielt eine wesentliche Rolle in dem Stück.

Stuttgart - Ein junger Bohemien, der von ererbten Duplonen lebt. Eine schöne Frau, die bald sterben wird. Ein von einem philosophischen Guru abhängiger Mann, der den Bezug zur Lebendigkeit verliert. Seine Geliebte, die ihn aus Rache tötet. Und ein Starkoch. Das ist das Personal in Boris Vians Kultroman „Der Schaum der Tage“. Doch im surrealistisch verfremdeten Fantasiegebäude des Schriftstellers, Schauspielers, Übersetzers, Chansonniers und Jazztrompeters Vian lebt auch eine Entourage von weißen Mäusen, abgestorbenen Fischen, eine Katze und ein Pudel, Duke Ellington, die Jungfrau Maria und der liebe Gott.

 

Vians tragisch endender Liebesrausch wurde viermal verfilmt, zuletzt 2013 von Michel Gondry. Die Aufführung einer musikalischen Fassung 2012 an der Stuttgarter Oper feierte die Kritik als „funkelndes, Verrücktes Wunder“. Am Donnerstag zeigt die „Gruppe K plus, Stuttgart/Leipzig“ eine Interpretation des Stoffes auf der Bühne des Figurentheaters Stuttgart Fitz. Und man verliert sich dabei schon mal in dieser personellen Opulenz und der Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Realität, Traum und Unterbewusstsein.

Tödliche Diagnose

Eine Seerose als tödliche Diagnose – was für ein poetischer Gedanke. Boris Vian (1920-1959) lässt seine Protagonistin Chloé an einer Seerose sterben. Sie wuchert in ihrem jungen Leib. Und so wird die Projektion dieser Blüte auf dem weißen Gewand von Samira Lehmann, die im Fitz die Chloé spielt, zur Metapher von Schönheit und Tod. Samira Lehmann trägt zunächst ganz im Modestil der Existenzialisten ein kleines Schwarzes a là Coco Chanel, tauscht dann in einem intimen Theatermoment Schwarz gegen Weiß. Sie spricht – im gleißenden Licht isoliert – von der Absicht, täglich nur zwei Teelöffel Wasser zu trinken, um die Seerose sterben zu lassen. In einer anderen starken Szene ist es Katharina Muschiol, die als Alise den Racheengel gibt – rote Tulpen um den Hals, ein rot-flackerndes Elektrolicht in der rechten Hand, einen Gummifisch in der Linken. Ihre Seele ist tot, seitdem sie sich von Chick (Jan Jedenak) nicht mehr geliebt weiß. Wie vom Blitz der Erkenntnis getroffen, starrt sie bewegungslos und stumm ins Leere. Die Geschichte, wie sie zur Mörderin ihres Geliebten wird, erzählt ein anderer.

Philosophen versteckt

Chick liebte einst Alise, und er wehklagte, sie nicht heiraten zu können, weil er arm sei. Doch als sein Freund Colin (Stefan Wenzel) ihm Geld schenkt, kauft er Bücher und Accessoires seines „Gurus“ Jean Sol Patres. Unter diesem Pseudonym hat Boris Vian den Philosophen Jean-Paul Sartre versteckt, in dessen Pariser Zirkel er verkehrte. In einem Wechselspiel aus Erzählen und Spielen entwickelt sich ein absurder Versuch, Leben zu leben und voller Sehnsucht zu lieben. Kleine Handpuppen haben ihren Auftritt, wilde Perücken werden übergestreift, die Truppe schnippelt Gemüse und süffelt einen eihaltigen Cocktail von Starkoch Nicolas (Maik Evers). Und Requisiten – deren Absicht, assoziativ wirken zu sollen, sich nicht immer erschließt – werden vom Bühnenrand auf das weiße Zentrum hin- und hergetragen. Dann wieder treibt die Fantasie Bühnenblüten – die Schauspieler schlagen in einer heiteren Szene in einem gläsernen Wasserbassin flüssige Seife zu Schaum. Jan Jedenak tut es mit einer Taschentrompete, ein Verweis auf Boris Vians „Trompinette“.

Textübertragungen auf synchrone Bilder finden in Hendrik Mannes Inszenierung selten statt, der Poesie der Sprache wird viel Raum gelassen. Aber vielleicht wird man dem Autor auch eher gerecht, Chicks Schicksal „..unter seinem Körper gerann das Blut zu einem Stern“ nur als Wortbild zu verwenden, statt eine blutige Szene zu inszenieren. Und wer will schon einen „Herzausreißer in Zangenform“ real sehen, wenn das Kopftheater beim Klang dieses Sprachgebildes böse Assoziationen erzeugt.

Nächster Termin: am 14. Mai um 20 Uhr ein.