Krankenpflegevereine bezahlen das, was sonst zu kurz kommt – etwa Gespräche. Doch sie drohen zu überaltern.

Sillenbuch - Schwester, könnten Sie mir bitte kurz den Briefkasten leeren?“. Oder auch: „Könnten Sie mir erklären, wie mein Blutzuckermessgerät funktioniert?“ Solche Sätze kennen die Pflegerinnen, die in der häuslichen Pflege im Einsatz sind, nur zu gut. Sie hören sie immer dann, wenn ihre Klientel mehr braucht als das, was die Pflegekasse zahlt. Nämlich ein bisschen Ansprache oder Unterstützung. Auch Karin Gimber, die bei der Diakonie Sillenbuch arbeitet, kennt diese kleinen Tätigkeiten. Rollläden hochziehen etwa, das ist etwas, was die Altenpflegerin öfter nebenbei tun soll. „Wenn ich das 20-mal in der Woche mache, kommt viel zusammen“, sagt sie.

 

Wolfgang Berner-Föhl nennt diese Tätigkeiten die „Gschwinds“ – die Handgriffe und Gespräche, die Pflegekräfte mal eben geschwind leisten sollen. „Dabei sind die Gschwinds das, was die Pflege menschlich macht“, sagt der Pfarrer der evangelischen Gemeinde Sillenbuch. Die Diakonie hat dafür sogar einen eigenen Begriff geprägt. Dort firmieren die „Gschwinds“ unter dem Begriff „Diakonie Plus“.

Doch wer bezahlt diese Momente, in denen es nicht nur darum geht, dass Pflegebedürftige satt und sauber sind, sondern dass sie noch als Menschen wahrgenommen werden? Im durchgetakteten Pflegeplan, in dem jeder Toilettengang minutiös abgerechnet wird, ist dafür jedenfalls keine Zeit vorgesehen.

Krankenpflegevereine sind unverzichtbar

„Dafür gibt es die Krankenpflegevereine“, sagt Berner-Föhl. Der Pfarrer ist Vorsitzender eines Beirats, der den Ökumenischen Pflegebereich Sillenbuch der Diakoniestation Stuttgart begleitet. Für ihn sind die vier Krankenpflegevereine in seinem Beritt – nämlich die in Heumaden, Riedenberg, Sillenbuch und in der katholischen Sankt-Michael-Gemeinde – unverzichtbar. Auch Sabine Münzenmay, die stellvertretende Pflegedienstleiterin des Ökumenischen Pflegebereichs Sillenbuch, kann sich ihre Arbeit ohne die Unterstützung der Krankenpflegevereine nicht vorstellen: „Es ist ganz wertvolle Zeit, die uns die Krankenpflegevereine zur Verfügung stellen.“

Allein der Krankenpflegeverein Sillenbuch erwirtschafte mit seinen rund 300 Mitgliedern etwa 6000 Euro pro Jahr an Mitgliedsbeiträgen, dazu kommen Spenden. „Rund 5000 Euro davon gehen an Diakonie Plus“, berichtet Berner-Föhl. Zudem unterstütze der Krankenpflegeverein weitere Projekte wie etwa den Besuchsdienst „Pflegende Angehörige entlasten“ (Pane). Auch die Finanzierung von behindertengerechten Transportern, Mittagstischen oder Fortbildungen für Angehörige machen die Krankenpflegevereine erst möglich, sagt Berner-Föhl.

Beim Degerlocher Krankenpflegeverein ist die Liste der geförderten Projekte ebenfalls lang. An Diakonie Plus hat der Verein im vergangenen Jahr rund 4700 Euro weitergegeben. Auch die Nachbarschaftshilfe hat von einem Zuschuss in Höhe von 4000 Euro profitiert, den der Krankenpflegeverein aufgebracht hat. Und die Seniorenfreizeit „Urlaub ohne Koffer“ wäre ohne die Hilfe des Krankenpflegevereins schon gar nicht möglich: Mehr als 15 000 Euro hat der Verein dafür zuletzt springen lassen.

Verein droht zu überaltern

Allerdings sieht sich der Pfarrer Andreas Maurer, der dem Krankenpflegeverein in Degerloch vorsitzt, einem Problem gegenüber: „Wir verlieren konstant Mitglieder.“ Der Verein drohe zu überaltern, es fehle an Nachwuchs. Von 711 im Jahr 2010 sei die Mitgliederzahl im Vorjahr auf 683 zurückgegangen, berichtet Maurer. Dass es sich bei dieser Entwicklung um einen allgemeinen Trend handelt, bestätigt Armin Picht von der Geschäftsführung der Diakoniestation Stuttgart. Für Picht ist klar, dass sich die Krankenpflegevereine einiges einfallen lassen müssen, um wieder mehr Menschen für ihre Arbeit zu interessieren. Im Herbst lädt die Diakonie Stuttgart deshalb zu einer Veranstaltung, bei der sich die Vertreter der Krankenpflegevereine im Einzugsgebiet der Diakonie Stuttgart austauschen können. „Themen wie Mitgliedergewinnung werden da eine wichtige Rolle spielen“, sagt Picht.

Einen unorthodoxen, dafür aber effektiven Ansatz, um neue Mitglieder zu gewinnen, haben sich die Krankenpflegevereine von Birkach-Schönberg und Plieningen-Hohenheim einfallen lassen. „Vor vier Jahren haben wir uns vom Oberkirchenrat alle Adressen in unserem Einzugsgebiet besorgt“, erzählt Karin Thume, die beiden Vereinen vorsitzt. Die Aktion, alle evangelischen Christen anzuschreiben, habe den beiden Krankenpflegevereinen etliche neue Mitglieder beschert. Den Mitgliederschwund langfristig aufhalten konnten Thume und ihre Mitstreiter dennoch nicht: Von zusammen 1150 Mitgliedern ging die Zahl zuletzt auf 1017 zurück. Da half es auch nicht, dass die Krankenpflegevereine in den vergangenen Jahren immer wieder als Sponsoren, etwa beim Neubau der Diakoniestation an der Plieninger Schoellstraße, in Erscheinung getreten waren.

Für Wolfgang Berner-Föhl sind die Krankenpflegevereine dennoch kein Auslaufmodell. „Wir müssen es schaffen, eine alte Form mit neuer Füllung zu versehen.“ Für den Pfarrer ist eines klar: „Nur so bleibt die Pflege menschlich.“

Krankenpflegevereine

Geschichte:
Die Krankenpflegevereine sind vielerorts am Beginn des 20. Jahrhunderts aus Schwesternstationen entstanden. Ursprünglich sollten sie die Pflege und Betreuung von Kranken zu Hause ermöglichen. Auch Bedürftige, die nicht viel bezahlen konnten, sollten so versorgt werden. Heutzutage ist eine Mitgliedschaft zu einem Jahresbeitrag von etwa 15 bis 20 Euro zu haben. Die Mitgliedsbeiträge bilden eine wichtige Einnahmequelle der Krankenpflegevereine.

Struktur:
Die Krankenpflegevereine der Orte Heumaden, Sillenbuch, Riedenberg sowie der Sillenbucher Gemeinde Sankt Michael fördern die Arbeit der Diakoniestation Stuttgart. Die Krankenpflegevereine in Degerloch, Plieningen-Hohenheim sowie Birkach-Schönberg hingegen unterstützen die Diakoniestation Stuttgart-Filder.

Diakonie Plus:
Das Programm Diakonie Plus, das die Krankenpflegevereine finanzieren, gibt es seit 2000 in Stuttgart. Es macht den Pflegekräften möglich, auch die Zeit abzurechnen, die zum Beispiel für kleine Handgriffe anfällt. Den größten Teil der Diakonie Plus-Leistungen aber macht die Kommunikation aus: Gespräche, zuhören, etwas vorlesen sind die häufigsten Tätigkeiten in diesem Zusammenhang genannt werden.