Für Bilal Yilmaz war 2016 ein besonderes Jahr: Er durfte kostenlos in die Hauptstadt reisen. Seine Eindrücke beschäftigen seine türkischstämmige Familie bis heute.

Fasanenhof - Sein Kurzurlaub liegt sieben Monate zurück, doch die Eindrücke aus Berlin sind nach wie vor ein Gesprächsthema bei der Familie Yilmaz aus dem Stadtteil Fasanenhof. Die Überreste der deutschen Trennung, die Mauer, haben bei dem 14-jährigen Bilal Yilmaz einen starken Eindruck hinterlassen und ihn nachdenklich gemacht. „Das darf nie wieder passieren“, sagt er.

 

Im Juli 2015 nahm Bilal beim Stadtteilfest auf dem Fasanenhof an einem Luftballon-Wettbewerb der CDU teil. Die Bezirksgruppe feierte mit der Aktion ihr 50-jähriges Jubiläum in dem kleinen Stadtteil auf der Filderebene. Bilal füllte die Karte aus und hatte Glück, denn sein Ballon flog am weitesten. Aus dem bayrischen Donauwörth, 120 Kilometer Luftlinie entfernt, kam die Karte zurück. Als der Junge Anfang 2016 erfuhr, dass er eine Reise nach Berlin gewonnen habe, hatte er das Gewinnspiel schon vergessen.

Bilal Yilmaz macht sich Gedanken über die Welt

Wenn er von seinem Urlaub redet, lächelt der Gymnasiast. Er ist noch nicht oft verreist, von den größeren deutschen Städten war er bisher nur in München. „Ich interessiere mich für Deutschland, für andere Städte und die Leute dort“, sagt er. Umso glücklicher war er, seinen Wissensdurst stillen zu können.

Vier Tage verbrachte er im Mai gemeinsam mit seinem Vater in Berlin und besuchte unter anderem Bundestag und Bundesrat – und den Fernsehturm – Bilals Highlight der Reise. „Das traf den Richtigen, er ist so interessiert“, sagt seine Mutter Selvihan Yilmaz, die ihm gerne mehr Ausflüge dieser Art ermöglichen würde.

Bilal Yilmaz macht sich trotz seines jungen Alters viele Gedanken über die Welt, in der er lebt, und seine Familie, Mutter, Vater und seine zwei Brüder, lauschen vom Sofa aus seinen Worten. Wenn die Presse kommt, steht die ganze Familie parat. Im kleinen Wohnzimmer im Reihenhaus läuft der Fernseher leise im Hintergrund, doch das Fußballspiel ist zweitrangig.

Berlin hat den Gymnasiasten beeindruckt

„In Berlin leben deutlich mehr Menschen mit ganz unterschiedlichen Nationalitäten als in Stuttgart“, sagt Bilal. Das Zusammenleben und die Selbstverständlichkeit, mit der andere Kulturen akzeptiert werden, haben ihm gefallen. Er selbst wurde noch nie wegen seines Aussehens diskriminiert; mit Fremdenfeindlichkeit muss er sich auch in der Schule nicht auseinandersetzen. „Nur in der U-Bahn werde ich manchmal schief angeschaut“, berichtet er.

Doch seine Mutter hat anderes erlebt. Sie trägt ein Kopftuch und muss sich öfter Diskussionen stellen. Mittlerweile sei das Unverständnis abgeflacht: „Bei der Arbeit und in meinem Umfeld akzeptiert man mich wie ich bin; das Kopftuch ist zweitrangig.“

Die Familie ist stolz darauf, gut integriert zu sein. Bilal geht auf das Gymnasium, er besucht die achte Klasse. Seine Mutter Selvihan Yilmaz lebt seit 1987 in Stuttgart. Sie war jahrelang Elternbeirätin in der Schule ihrer Söhne. Auch in Sachen Flüchtlinge engagierte sich das Ehepaar Yilmaz.

Der 14-Jährige möchte aktiv gegen Mobbing vorgehen

„In Berlin sah ich eine alte Grenze, in der Gesellschaft sehe ich heute eine Grenze in den Köpfen“, sagt er. Letzten Endes seien doch alle Menschen gleich und wollten in Frieden zusammen leben; davon ist er überzeugt. Seine Reise nach Berlin hat ihn in dieser Weltsicht bestärkt.

Seit seinem Urlaub überlegt sich Bilal, in eine Partei einzutreten. Welche, das möchte er nicht verraten. Ob er, nachdem er das Parlament gesehen hat, eine politische Karriere anstreben will, weiß er noch nicht. „Zahnarzt wäre auch ein guter Beruf“, sagt er.

Dennoch – dieser Ausflug nach Berlin bleibt der Höhepunkt in Bilals vergangenem Jahr, der Spuren hinterlassen hat. Er möchte sich mehr engagieren. Der Schüler ist bereits Klassensprecher; nun lässt er sich als Schülermediencoach und Vertrauensschüler ausbilden. Er möchte aktiv gegen Mobbing vorgehen – sowohl im realen Leben als auch im Internet.

Für 2017 wünscht sich Bilal vor allem eins: eine offene Gesellschaft – „und vielleicht wieder einen Gewinn“, sagt er grinsend.