Große Filmkunst oder esoterischer Kitsch? Terrence Malick schuf mit seinem neuen Film "The Tree of Life" beides.

Stuttgart- Ein Film soll zu schauen geben, aber zu denken schon auch. Sind die Gedanken des Regisseurs weniger scharf als naturfromm verblasen, hintertreiben sie leider das schönste Geschaute. Dann hat der Kinogänger ein Problem: Er jubelt - und seufzt verärgert dem Abspann entgegen. Genau so könnte es ihm jetzt mit Terrence Malicks "Tree of Life" gehen, jenem lichtdurchfluteten Monumentalwerk, das zu den erwartungsvollst erwarteten Ereignissen der Kinogeschichte gehört.

 

Etliche Jahre hat der penible Filmschöpfer daran gewerkelt. Dann war's getan: Gott Malick schuf Himmel und Erde, ein Universum, in dessen Mitte das Kostbarste haust, was das Weltall zu bergen hat: eine spießig-bigotte Kleinfamilie in Waco, Texas. Dort, im hölzernen Verandenhaus inmitten üppiger Wiesen zwischen uralten Bäumen, soll übrigens auch Malick aufgewachsen sein.

Was also erzählt sein Film? Eine Kindheitsgeschichte, durchschnittlich, brav - gewöhnlich. Und die Entstehung der Welt aus dem Urknall - außergewöhnlich. Jetztzeit, aufgehoben in der Ewigkeit. Aeternitas, hineinleuchtend in die knäbisch durchtollten Kleinstadtfreuden der fünfziger Jahre und in den Gram der späten sechziger, als eine Mutter erfährt, dass einer ihrer Söhne im Krieg gefallen sei. . . Zeitsprünge, Bilderstürze, frommes Gewisper - im Blätterwerk des Lebensbaumfilms rauscht es unüberhörbar bedeutsam. "Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug?" So tönt's aus dem Off, zitiert nach dem Buch Hiob, kaum dass der Film loswabert mit seiner ersten goldgelben Flamme.

Gold in Cannes

Terrence Malick war nicht da, als sein "Tree of Life" in Cannes die Goldene Palme und den Unmut etlicher buhender Zeitgenossen empfing. Ob sie ihn priesen als cineastische Offenbarung oder schmähten als Kolossalkitsch - ihm egal! Der scheue Mystery Man des US-Kinos, dessen Lebenswerk mit Ach und Krach sechs Filme umfasst, pfeift auf Publicity.

Jetzt aber die Entbergung: ganz große Leinwand, chorische Sphärengesänge, wogende Bilderfluten, "Bäume des Lebens", angestaunt aus Malicks Vorzugsperspektive, der Untersicht, empor bis in die sonnumflirrten Wipfel, Sommerwiesenzauber, Meeresbrausen, Lavaströme, Wogenprall, Urweltgetöse, Planktonwimmeln, dazu die Wolkenkringelkunst der Vogelschwärme, all dies eingefangen von Emmanuel Lubezkis unnachahmlich geschmeidig tanzender Kamera: ein Hymnus auf Himmel und Erde - und aufs schöne ländliche Leben, als Jack, der pubertierende Bub samt Familie im texanischen Heim, urplötzlich vertrieben wurde aus dem Paradies seiner Kindheit.

Bildgewaltig und effektreich

So verleibt sich der Film saugend und sausend den Kosmos ein, in Naturstrudeln von grandioser Unaufhörlichkeit, worin Kubricks Bravoureffektenmacher Turnbull erneut trickreich mitmischen darf. Was in Kubricks "2001" Affen waren, mutiert hier zum digitalisierten Dino, der die Tatze abzieht vom Schädel des Jungsauriers, weil zwei Prinzipien nach Malicks Meinung das Leben bestimmen: das der Natur und das der Gnade. Dem gnädigen Saurier korrespondiert in Texas die gnädige Mutter, eine ätherische sommersprossige Schöne (bisher im Kino kaum bekannt: Jessica Chastain), wogegen Jacks ruppiger Vater das Prinzip Natur vorstellen soll. Aus Jacks Sicht ist der Film nebenbei auch erzählt - sofern ihn nicht Malicks göttliches Auge erschaut.

Wieder passiert ein Zeitsprung. Da sehen wir Jack gealtert, nun mit der mürrischen Keilkopfphysiognomie des Sean Penn, wie er im Wolkenkratzerbüro Kindheitserinnerungen wachruft, ein desillusionierter Architekt im gleißend-verspiegelt gestylten Glasbautenzentrum einer Moderne, die er verabscheut: er, der Vertriebene, dessen heile Welt im wiesengrünen Mittelwesten liegt, als Mutters Unterrock noch das Objekt seiner pubertären Begierde war und der gestrenge Vater noch den Söhnen klarmachte, wo es langging im gottgefällig zu führenden Leben.

Prämierenswerte Regie

Im Gegensatz zu Penn, dem ein Röllchen zufällt, darf Brad Pitt die Vaterfigur ansehnlich massig darstellen: Der Mann ist ein karrieristisch geknickter Yes-we-do-it-Amerikaner, welcher daheim den autoritären Knochen gibt, erwartend, dass Sohn Jack (großartig: der aufmüpfig-fledermausohrige Querkopf Hunter McCracken) ihn gefälligst nicht Dad nenne, sondern Vater und Sir. Ach, und die sanfte Gnadenmutter weinet viel, doch ist sie froh, lässt die Regie sie schweben. Malicks Regie: betörend, irrwitzig, mit Bildern, allesamt prämierenswert. Nur setzt das antizivilisatorische Sentiment falsche Akzente. Und das Gewisper, weniger christenmenschlich als pantheistisch verquast, geht arg auf die Nerven.

Zuletzt läuft Jack, nun wieder in der Herrenhose des Sean Penn, hinaus in den spiegelglatten Wattenschlick der Ewigkeit, wo viele Versprengte fürbass übers Gestade wandeln - ein Motiv, das Malick bei Angelopoulos abgeschaut hat. Bloß die güldene Flamme des Lebens hat er als mystische Chiffre für sich allein. Irgendwie wirkt sie kitschig, naiv, als illustriere sie den Simpelvers "Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her". Man verspürt Lust dagegenzublasen.

The Tree of Life. USA 2011. Regie: Terrence Malick. Mit Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain. 138 Minuten. Ab 12. Delphi, Metropol