Werbefilme für Unternehmen – für Studenten der Filmakademie ist das eine Chance, ihr Können zu zeigen und ins Geschäft zu kommen. Die Auftraggeber schätzen umgekehrt deren unverbrauchte Kreativität. Doch in der Filmwirtschaft grummelt es immer lauter wegen der Konkurrenz.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Zwei-Minuten-Film mit dem Titel „Tasty Tasches“ ist ein Bombenerfolg, für Auftraggeber und Macher gleichermaßen. Reich belohnt wurde der Mut von Bürger Maultaschen, in der Werbung einmal neue Wege zu gehen. Schon zwei Millionen Menschen sahen alleine auf Facebook und Youtube, wie sich zwei US-Cops im Streifenwagen über köstliche deutsche Teigtaschen unterhalten. Angelehnt an einen Dialog aus dem Kultfilm „Pulp Fiction“ amüsieren sie sich über die sprachlichen Eigenheiten in Europa – und machen so Appetit auf die Teigwaren aus Ditzingen. Selbst Werbeverächter bekannten im Internet reihenweise, wie cool sie das fanden.

 

Man habe einmal von der klassischen Markenkommunikation abweichen wollen, sagt eine Bürger-Sprecherin, und dafür den „idealen Partner“ gefunden: die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg „mit ihren Verbindungen zu jungen, kreativen Filmemachern“. Unter 31 Vorschlägen entschied sich das Unternehmen für die Idee der Stuttgarter Ihab Abouzeid und Gregor Eisenbeiß (beide 37), die sie zusammen mit einem Studenten der Akademie verwirklichten. Auch für die erfolgsverwöhnten Ludwigsburger war das beste Werbung: wieder einmal hatten sie demonstriert, welch kreatives Potenzial in ihren Studenten und Absolventen steckt.

„Das Gegenteil von Strukturförderung“

Kunde zufrieden, Akademie zufrieden, Publikum zufrieden – das klingt nach einer klassischen „win-win“-Situation. Doch Erfolge wie dieser wecken zunehmend auch Missmut. Je mehr die Ausbildungsstätte selbst zum Anbieter werde, desto mehr grabe sie freien Filmfirmen das Wasser ab, beklagt der Filmverband Südwest, in dem sich Anfang 2016 mehrere Dutzend Filmschaffende verbündet haben – Produzenten, Drehbuchautoren oder Kameraleute etwa. Offiziell sollten solche „Drittmittelprojekte“ der „Strukturförderung des Medienstandortes Stuttgart/Ludwigsburg“ dienen, sagt der Vorsitzende Moritz Schreiner, „doch genau das Gegenteil ist der Fall“: durch Konditionen „weit unter gängigem Marktpreis“ ergattere die Akademie immer mehr Aufträge für Werbefilme, die den Firmen dann fehlten. Mit fairem Wettbewerb habe das nichts zu tun.

Mit Argwohn beobachtet der Verband, wie die Referenzliste der Firmen auf der Homepage der Akademie immer länger wird. Stihl, Porsche, Robert Bosch, Mercedes Benz Bank – viele große Namen aus der Region stehen darauf, dazu kommen öffentliche Auftraggeber wie der Südwestrundfunk, die staatliche Lotto-Gesellschaft oder das Umweltministerium. Sie alle wollen von der „unverbrauchten Leidenschaft“ des Filmernachwuchses profitieren, die die Akademie als Vertragspartner ebenso verspricht wie eine „engagierte und professionelle Umsetzung“.

Saubere Trennung zwischen Ausbildung und Aufträgen

Manche nutzen das gleich mehrfach wie die Mercedes-Benz-Bank, die seit 2013 bereits drei Projekte mit den Ludwigsburgern realisierte – unter anderem ein 360-Grad-Video zur Gebrauchtwagenfinanzierung. Man schätze „die Kreativität und den praxisorientierten Lehransatz“ der Akademie, sagt eine Bank-Sprecherin. Zum Auftragsvolumen gibt es, wie fast stets, keine Auskunft. Bosch schweigt sogar zum konkreten Inhalt eines noch nicht umgesetzten kleineren Auftrages, der unter den Filmfirmen größere Aufregung auslöste: Mit Folgeaufträgen könne schnell ein Millionenbudget gen Akademie fließen – eine Sorge, die offenbar begründet war. Doch das Thema „Drittmittelproduktionen“ brennt der Branche so auf den Nägeln, dass es unlängst auch bei der Filmschau Baden-Württemberg angesprochen wurde.

In Ludwigsburg kennt man die Bedenken, kann sie aber nur bedingt nachvollziehen. Solche Auftragsproduktionen gebe es seit Gründung der Akademie vor 25 Jahren, sagte der Direktor Thomas Schadt bei der Filmschau-Talkrunde. Sie dienten dazu, den Studenten erste praktische Erfahrungen zu ermöglichen und Absolventen im Südwesten zu halten. Da viele Aufträge ohne die Akademie gar nicht zustande kämen, handele es sich um „praktizierte Standortförderung“. Bei seinem Amtsantritt 2005, so Schadt, habe er diesen Bereich strukturiert und klare Regeln eingeführt. Dazu zähle etwa, dass man Auftragsprojekte und Ausbildung sauber trenne, dass Vergaben grundsätzlich durch Ausschreibungen und Wettbewerbe erfolgten und dass „markgerechte Preise bezahlt“ würden.

Die Ministerin pocht auf fairen Wettbewerb

Das jährliche Volumen solcher Produktionen schwankt zwar, zeigt in der Tendenz aber nach oben: von 1,1 Millionen Euro im Jahr 2012 stieg es nach Akademieangaben auf 1,9 Millionen Euro 2015; im vorigen Jahr sei es wohl wieder gesunken. Die einzelnen Etats lagen über fünf Jahre in einer Spanne zwischen 15 000 und 300 000 Euro, meist aber zwischen 30 000 und 80 000 Euro. Jeweils 15 Prozent kassierte die Akademie als „Verwaltungskostenpauschale“, um ihre Kosten zu decken, im Schnitt 170 000 Euro pro Jahr. Für die Finanzierung der Ausbildung hätten die Drittmittel damit „keine relevante Bedeutung“; sie machten nur 1,5 Prozent des fast ganz vom Land gestellten Etats aus. Im Vordergrund stehe Anderes: Es gehe vor allem darum, Studierende mit der Praxis vertraut zu machen und Kontakte zu Produktionsfirmen zu vermitteln.

Dass dabei „keine Wettbewerbsverzerrung stattfindet“, ist dem übergeordneten Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne) „ein wichtiges Anliegen“. Man gehe davon aus, sagt eine Sprecherin, dass die Akademie „hierauf streng achtet“. Das tut sie aus eigener Sicht, welche die Kritiker aber nicht überzeugt. Bis zu dreißig Ideen für ein überschaubares Preisgeld zu bekommen, da zum Beispiel könnten die Filmfirmen kaum mithalten. Das gebe es, aber nur „in Ausnahmefällen“, lautet die Erwiderung. Von Dumping-Preisen will die Akademie nichts wissen, man zahle „angemessene Gagen“; doch die sei bei unerfahrenen Studenten eben geringer als bei schon lange tätigen Profis. Eine „offensive Akquise“, die der Filmverband moniert, wird ebenfalls bestritten: Man werbe „nicht proaktiv“, sondern informiere nur über die Homepage.

Filmverband plädiert für Beschränkung

Ein besonderer Streitpunkt ist die Zusammensetzung des Kreises, der über Anfragen von Kunden (teils aus ganz Deutschland) informiert wird. Studierende gehören automatisch dazu, Absolventen auf Wunsch, darunter auch „arrivierte Firmen“ – nicht aber solche ohne einen Bezug zur Akademie. Unfaire Konkurrenz? Viele Kunden wollten eben ausdrücklich mit Nachwuchstalenten von Filmhochschulen arbeiten, heißt es in Ludwigsburg. Klagen kämen mitunter von Teilnehmern, die einen Wettbewerb „nicht für sich entscheiden konnten“. Wenn eine Filmfirma gegen einen Studenten verliere, müsse sie sich „an die eigene Nase fassen“, meint ein Absolvent, der heute in einem großen Unternehmen solche Aufträge vergibt. Insgesamt sei der Markt groß genug, dass alle auf ihre Kosten kämen – Akademie und Firmen.

Der Filmverband Südwest bleibt da skeptisch. Man lege der Akademie nahe, „die Akquise von Drittmittelprojekten stark einzuschränken oder zu beenden“, sagt der Vorsitzende Schreiner. In Ludwigsburg plant man zumindest nicht, diesen Bereich auszubauen. Dazu wäre zusätzliches Personal nötig – und das gibt es nicht.

Zumindest die Maultaschenfirma Bürger wird vorerst keinen Anlass für neuen Zwist liefern. Trotz des Erfolges von „Tasty Tasches“, sagt die Sprecherin, seien „zur Zeit keine weiteren Projekte in der Planung“.