Die kleine Alice hat im Kino schon oft Wunderliches erleben dürfen. Auch Tim Burton hat vor ein paar Jahren eine bizarre Welt für sie entworfen. Die Fortsetzung hat er nur noch produziert, nicht mehr inszeniert. Das war keine gute Idee.

Stuttgart - Der Wahnsinn sitzt immer mit am Tisch, wenn die kleine Alice im Wunderland Tee trinken geht. Aber in den Büchern, in denen der Brite Lewis Carroll (1832-1898) seine kindliche Heldin zum Märzhasen, zum Hutmacher, zur Grinsekatze und den anderen Bewohnern der seltsamen Gefilde schickte, besaß der Wahnsinn Witz, Charme, Spieltrieb und Hintersinn. „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ bringt mehr Wahnsinn as jede andere Alice-Adaption auf die Leinwand. Aber es ist ein schäbiger, destruktiver, zynischer Wahnsinn, einer der Schmeißen-wir-alles-kaputt-dann-ist-was-los-Sorte. Wie es sich für fiesen Wahnsinn gehört, grinst er uns noch lobbegierig an, als habe er gerade etwas Feines geboten.

 

Der von James Bobin („Die Muppets“) inszenierte Film ist eine Art Fortsetzung zu Tim Burtons „Alice im Wunderland“ aus dem Jahr 2010, er nutzt jedenfalls einige der Darsteller und Designs von damals. Aber schon zu Beginn wird das Retortenhafte der Produktion deutlich. Alice (Mia Wasikowska) agiert auf der Realitätsebene des Films als verwegene Kapitänin eines Handelsschiffs, die Piraten austrickst. Das passt zwar kaum zur Figur, aber heutzutage muss die starke Frau durch Bilder des Actionkinos definiert werden, und mit Piraten aus der Karibik hat Disney bekanntlich gute Geschäfte gemacht.

Alles steht zum Schlechten

Was aber an Gesprächen zur Plotentwicklung folgt, gerät noch viel liebloser. Die Schauspieler entledigen sich trostlos ausgelaugter Standardsätze, als müssten sie etwas mit extrem schlechtem Geschmack unauffällig von ihrer Zunge wuchten. Dass im Wunderland alles zum Schlechten steht, dass der Hutmacher (Johnny Depp) depressiv geworden ist, ja, dass der Weltuntergang droht, wenn nicht Alice gegen die Uhr eine Wunderkur anwenden kann, das rührt in keiner Sekunde.

Ob der Hutmacher nun seine innere Bitterkeit nach außen kehrt, ob der arme Märzhase und seine Kumpels verhext werden, ob die personifizierte Zeit (Sacha Baron Cohen) die stehen gebliebenen Taschenuhren der Toten sammelt, alles könnte wunderbar zu einer erwachsenen Alice-Fassung passen. Aber keine Szene findet Ton und Haltung, alles ist ins Misslaunige verrutscht, in gehässige Karikaturen von Heiterkeit und Melancholie.

Die Raucherkönigin

Anne Hathaway etwa spielt wieder die Weiße Königin, aber jetzt ist sie endgültig zu alt für diese seltsame Unschuldsbehauptung und wirkt auch fahrig, als möchte sie schnellstens aus dem weißen Kleid und dem tütteligen Getue der feenartigen Figur platzen. Jeden Moment erwarten wir, dass diese Reinheits-Hochstaplerin rußschwarze Wolken hustet und zugibt, acht Schachteln Filterlose am Tag zu rauchen – aber auch nur, um die Zeit zwischen den Joints zu überbrücken.

„Alice hinter den Spiegeln“ ist das surrealere, bösere, erwachsenere der beiden Alice-Bücher von Lewis Carroll. Aber dies wird keine Höhlentour durch die düsteren Untergründe des Werks, bloß eine verklemmte Wutshow, ein Schmollfest der Unzufriedenheit darüber, dass man nicht wirklich wagt, erwachsen zu erzählen.

Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln. USA 2016. Regie: James Bobin. Mit Mia Wasikowska, Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Anne Hathaway, Sacha Baron Cohen, Rhys Ifans. 113 Minuten. Ab 6 Jahren.