Der nächste Teil der Zukunftsserie mit Jennifer Lawrence ist da: im Kampf gegen eine zynische Diktatur soll Katniss Everdeen die Symbolfigur der Rebellen werden. Aber die Heldin aus der Gladiatoren-Arena sträubt sich unerwartet.

Stuttgart - Eine Welt in Aufruhr, eine Rebellion im Gange, Massen an Widerstandskämpfern gegen eine Diktatur in Tiefbunkern: eine kleine Erklärung, in welcher Welt der mutige, edle Teenager Katniss Everdeen da leben muss, wäre früher zwingend gewesen, ein Vorspannkapitelchen „Was bisher geschah“.

 

Aber die sonst sorgfältig auf schwellenfreie Zugänglichkeit ihrer Produkte bedachten Hollywood-Produzenten halten das bei „Die Tribute von Panem: Mockingjay, Teil 1“ für überflüssig. Der dritte Teil einer Reihe beginnt ohne jeden Rückblick. Das signalisiert zweierlei. Zum einen fordert das forsch auf: „Kauft gefälligst die DVDs der beiden vorigen Teile und schaut sie zu Hause an.“

Zum anderen wird da ein Anspruch spürbar, den man so in Worte bringen könnte: „Katniss Everdeen und die böse Zukunft, das unheile Rumpfamerika, in dem Gladiatorenspiele mit zwangsausgelosten jungen Menschen das Volk bei Laune und zugleich in Furcht halten, sind Popkultur, gehören zum allgemeinen Bilder- und Ideenvorrat, müssen niemandem mehr erklärt werden.“

Die Diktatur scheint den Jungen vertraut

Vor dem explosiven Showdown

Vielleicht haben die Produzenten, die ihre Adaption des letzten Bands einer Trilogie der Autorin Suzanne Collins auf zwei Filme aufgespalten haben, damit sogar recht. Nicht in dem Sinn, dass wirklich alle die Panem-Romane oder -Filme kennen. Aber in dem erschreckend weiteren Sinn, dass dystopische Entwürfe, also Visionen einer sehr miesen Zukunftsgesellschaft, so fest zur jungen Fantasie gehören, dass sich jeder sofort zurechtfindet, auch wenn ihm die einzelnen Figuren noch nichts sagen.

Eine böse Zentralgewalt aber, extrem zynische Lügen von Politikern und Medien, brutales Vorgehen gegen jede Opposition, durchgreifende Bespitzelung, Korrumpierung und Beseitigung aller Nischen der nicht Angepassten – das alles wäre dann sofort vertraut. Vielleicht muss man das zu den bittersten Momenten des modernen Kinos zählen, dass „Mockingjay, Teil 1“ ohne Rückblick beginnt und aufs Verstandenwerden setzt.

In dieser dritten Folge passiert eigentlich gar nicht viel, nicht für 123 Minuten Laufzeit. Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und ein paar dem Zugriff der Regierung entkommene Weggefährten (Philip Seymour Hoffman ist in einem der letzten Auftritte vor seinem Tod zu sehen) sitzen in der unterirdischen Bunkerstadt des von offiziellen Karten radierten Bezirks 13. Die Regierung lässt derweil Terrorangriffe fliegen und massakriert Aufständische.

Überfordert von den Gräueln

Die Rebellen des Bezirks 13 unter Führung von Alma Coin (Julianne Moore) möchten die Arena-Überlebende Katniss zur Zentralfigur einer Propagandakampagne machen, die den blutigen Volksaufstand weiter anfachen soll. Katniss zögert, wüsste am liebsten nur ihren geliebten Peeta (Josh Hutcherson) in Sicherheit, den aber die Zentralgewalt in Klauen hat. Letztlich stellt sie sich als Kämpferin vor die Kameras. Innerlich aber ist sie als von Gräueln und Erwartungen überforderter Teenager von der Illusion eines möglichen Privatfriedens für sich und wenige andere nicht abgerückt.

Nur ein Teil des unfertigen Gesamtwerks

Der ganze Film stellt innerhalb der Serie das retardierende Element dar, die Verzögerung vorm explosiven Showdown. Immer wieder hat man den Eindruck, dass die Drehbuchautoren und der Regisseur Francis Lawrence, der mit seiner Hauptdarstellerin nicht verwandt ist, vor allem auf die Funktion dieser Erzählstrecke im Gesamtzusammenhang achten. Sie drehen „Mockingjay, Teil 1“ auf seine Wirkung bei einer späteren Gesamtsichtung aller Teile hin.

Jennifer Lawrence ist auch durch die „Tribute von Panem“-Reihe ein Superstar geworden. Dem wird „Mockingjay“ nicht immer zu seinem Vorteil gerecht, indem er sehr viel mehr Großaufnahmen von Lawrence liefert. Manchmal wirkt er wie eine Porträtgalerie für Fans.

Fast ein wenig heuchlerisch

Der kleine Widerspruch, der so entsteht, scheint Francis Lawrence nicht aufgefallen zu sein. Katniss wehrt sich hier gegen das effiziente Ausgestelltwerden, gegen ihre Verwandlung in ein Produkt. Aber während Jennifer Lawrence das spielt, wird sie selbst ausgestellt, in sehr stärkerem Maße als früher jedenfalls. Es mag auch daran liegen, dass einem „Mockingjay, Teil 1“ trotz all seiner Grimmigkeit, seiner aufs Düstere und aufs Fahle beschränkten Farbpalette, seinem Geizen mit entspannenden Passagen heuchlerischer als die lauteren, bunteren Vorgänger vorkommt. Aber er patzt nicht so, dass man nun aussteigen möchte aus der Serie: wie es mit Katniss auf der Leinwand weitergeht, will man schon sehen – muss dafür aber wieder ein Jahr warten.

Die Farbpalette ist düster

Die Tribute von Panem: Mockingjay, Teil 1. USA 2014. Regie: Francis Lawrence. Mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Philip Seymour Hoffman, Woody Harrelson, Julianne Moore, Liam Hemsworth, Elizabeth Banks, Donald Sutherland. 123 Minuten. Ab 12 Jahren.