Endlich bekommt der Riesenhit „Findet Nemo“ seine Fortsetzung. In „Findet Dorie“ muss wieder ein kleiner Fisch in einem riesigen Meer überleben. Pixar beweist mal wieder: Kein anderes Animationsstudio kann Groß und Klein so clever unterhalten.

Stuttgart - Um die Jahrtausendwende schien der Triumph der Werbebotschaften über irgendwelche langweiligen Naturkundebücher perfekt. Die TV-Spots von Käpt’n Sie-wissen-schon-wer hatten bei Millionen Eltern und Kindern das Bild geformt, die Weltmeere seien von fertig panierten Fischstäbchen bevölkert. Aber diesem Suggestionstriumph folgte 2003 eine der heitersten Hirnfreipustungen der Geistesgeschichte: Das US-Studio Pixar brachte den Trickfilm „Findet Nemo“ in die Kinos. Und plötzlich lebten da statt Fischstäbchen Tiere mit ganz unterschiedlichen Formen und Farben, darüber hinaus aber auch Persönlichkeiten, Gefühlen, Gedanken, Wünschen, Ängsten und Sorgen. Und sie bevölkerten eine komplexe Welt, die einem so ganz nebenbei als zerbrechliches Biotop vor Augen geführt wurde.

 

Selbst beim Vormarsch der veganen Küche könnte man an eine Langzeitwirkung von „Findet Nemo“ glauben. Die beeindruckbaren Kinder von damals sind jetzt junge Erwachsene mit eigenen Konsumentscheidungen. Und war nicht in „Findet Nemo“ sogar ein Hai vorgekommen, der gegen viele innere Widerstände versuchte, Vegetarier zu werden und das restliche Filmpersonal nicht aufzufressen?

Einerlei, jedenfalls war, „Findet Nemo“ ein phänomenaler Kassenschlager, und Pixar zögerte lange mit einer Fortsetzung, um die Wirkmacht des Originals nicht durch einen schwachen Nachfolger zu mindern. Nun aber ist es soweit – mit „Findet Dorie“ kommt am Donnerstag das Sequel des Unterwasserabenteuers ins Kino.

Zwischenbilanz: Höchst vergnüglich

Für alle, die ihre Neugier gerne erst mal durch knackige Produktinformationen befriedigt wissen möchten: Ja, es gibt wieder faszinierende Animationsbilder zum Eintauchen, ulkige, sofort ins Langzeitgedächtnis wandernde Charaktere, kindgerechte Gags und Hintergründiges für Erwachsene. Jedoch: „Findet Dorie“ ist nicht ganz so ausbalanciert zwischen Schabernack und Nachdenklichkeit wie sein Vorgänger, die Handlung ist ein wenig episodenhafter, Sympathie und Faszination verteilen sich auf weniger Figuren. Fazit: ein immer noch höchst vergnüglicher Kinoabend.

Womit jetzt natürlich gar nichts über die Eigenart des Films gesagt wäre, über das, worum er uns über gute Laune auf begrenzte Zeit hinaus bereichert. Und „Findet Dorie“, geschrieben und mit inszeniert von Andrew Stanton, der schon seit „Toy Story“ bei Pixar und damit wohl neben John Lasseter der erfahrenste Animationsfilmautor des Studios ist, hat durchaus etwas zu bieten.

Ein gar nicht lustiger Defekt

Die Heldin geht nicht durch äußere Einwirkung verloren, wie der Titelfisch des ersten Teils. Das Doktorfischchen Dorie verirrt sich in jungen Jahren, findet nicht zu seinen Eltern zurück, weil bei ihr ein nicht nur lustiger Defekt vorliegt. Dories Gedächtnis ist kaputt, sie vergisst Wichtiges so schnell wie Unwichtiges und lebt vor allem im Moment. Andauernd macht sie die selben neuen Erfahrungen noch einmal, und merken kann sie sich eigentlich nur, dass sie sich nichts merken kann. „Findet Dorie“ erzählt von der Schwierigkeit und Notwendigkeit, Selbstbewusstsein zu wahren, wenn man schon aus Gründen der überlebensnotwendigen Risikoabschätzung im Blick halten muss, dass man nicht halb so gut wie die anderen funktioniert.

Bewundernswert leicht und dezent führt der Film Dories prägende Schwäche so ein, dass sie Kindern sofort fassbar wird. Pixar erzählt hier zwar nicht von etwas, das Jüngeren all zu oft auf dem Schulhof begegnen wird. Auf einem cleveren Umweg führen die Trickfilmmacher an ein Problem der älter werdenden Gesellschaft heran, an Verluste der Merkfähigkeit, gar an beginnende Demenz. Und zeigt, wie die Betroffenen und deren Umfeld mit dem Unumkehrbaren leben müssen.

Schrott braucht keine Worte

Der Titel „Findet Dorie“ ist ein wenig irreführend. Die meiste Zeit des Films ist Dorie selbst auf der Suche nach ihren Eltern und ihrem früheren Zuhause, wird dabei älter, reifer, aber nicht gesünder. Dass es Passagen gibt, in denen die Bilder leer wirken und fahl, in denen die Meerestiefe einen gruseligen Aspekt aufweist, ist einerseits eine Nach-außen-Spiegelung der steten Isolationsgefahr von Dorie. Andererseits sehen wir eben ein Meer, das nicht mehr gesund ist, ohne dass das groß zur Sprache kommen müsste. Die menschlichen Müll- und Schrottberge unter Wasser sprechen ohne Dialoge für sich selbst.

Sehr ambivalent ist auch das große Rettungs- und Schautankzentrum, in dem wichtige Teile des Films spielen. Diese von Menschen für Tiere geschaffene Welt ist zu gleichen Teilen Reservat wie Gefängnis, aber das Drehbuch spart sich klugerweise eine Diskussion dieser Aspekte. Es zeigt uns die ganze Problematik lieber in Aktion, in Gestalt der Unternehmungen von Oktopus Hank. Der ist von Freiheitsdrang beseelt und hat doch Angst vorm offenen Meer, ein wunderbar sperriger, buntscheckiger Charakter, der wohl die nächsten Jahrzehnte als Spielzeug die Kinderzimmer besetzen wird.

Ein netter kleiner Fisch, so viel sei verraten, findet letztlich zurück in die Geborgenheit. Aber für die wacheren Zuschauer hält „Findet Dorie“ die Frage bereit: Wie fest steht der Rahmen dieser Geborgenheit, wie lange halten die Meere noch durch?