Die Bundesrepublik war mal ganz anders. Die Verbrechen der Nazis hatte sie komplett verdrängt, die braunen Mörder waren geachtete Leute. In diese perverse Idylle platzten ein paar tapfere Juristen, die begannen, gegen die Verbrecher zu ermitteln.

Stuttgart - Hula-Hoop, Petticoat und Nierentisch: aus der historischen Distanz sieht die piefige, konservative Adenauer-Ära fast wieder putzig aus. Gerade die Filme der fünfziger Jahre zeigen eine aufgeräumte, heitere Heimatkulisse ohne Zeichen der Kriegszerstörung. Die Nächte im Bombenkeller, die Rationierung der Lebensmittel, all das war schnell vergessen.

 

Fritz Bauer, 1903 in Stuttgart geboren, gehörte zu den wenigen, die kein Gras über die Verbrechen der Nazizeit wachsen lassen wollten. Als Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht in Braunschweig sorgte er für die Rehabilitierung der Hitler-Attentäter vom 20. Juni 1944. Zudem gelang es ihm im selben Prozess, das Gericht zur Aussage zu bringen, es habe sich beim NS-Regime um einen Unrechtsstaat gehandelt, eine Feststellung, die damals ein Meilenstein in der Aufarbeitung der Jahrhundertverbrechen war.

In seinem ersten Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ erzählt Giulio Ricciarelli nun, wie der Jurist Bauer mit zwei jungen Staatsanwälten die bis dato schleppende Aufklärung der Verbrechen in den Vernichtungslagern von Auschwitz vorantreibt. Ricciarellis Film ist deswegen so wichtig, weil er nicht nur an Auschwitz selbst, sondern an historische Persönlichkeiten wie Bauer, den Journalisten der „Frankfurter Rundschau“ Thomas Gnielka und an überlebende Zeugen erinnert, die entscheidende Hinweise zur Strafverfolgung der Täter geben. Im kollektiven Gedächtnis ist diese Phase der Aufarbeitung kaum verankert, obwohl unser Gedenken hierdurch erst möglich geworden ist.

Der BND blockiert mit Vorsatz

Ricciarelli zeichnet jedoch nicht nur historische Vorgänge und Persönlichkeiten nach, sondern mischt in seine Darstellung auch fiktive Elemente. Alexander Fehling spielt den jungen Staatsanwalt Johann Radmann, der als Neuling erst einmal nur kleinere Verkehrsdelikte verhandeln darf. Als der Journalist Gnielka (André Szymanski) eines Tages berichtet, ein Freund habe auf der Straße einen ehemaligen KZ-Aufseher erkannt, der unbehelligt als Lehrer arbeite, will niemand etwas davon hören.

Nur Radmann geht dem Fall nach und findet im Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss in seiner letzten Rolle), selbst Jude und ehemaliger Lagerhäftling, den einzigen Unterstützer in der Behörde. Die Beweise liefern Gnielka und Radmann, nachdem sie Überlebende und weitere Tatverdächtige ausfindig gemacht haben. Als Radmann jedoch auf Hinweise zum Aufenthaltsort von Josef Mengele stößt, der als Lagerarzt grausame Menschenexperimente durchgeführt hat, stößt er auf massive Probleme. Der Bundesnachrichtendienst blockiert – und Radmann wird allmählich klar, dass bestimmte Verbrechen bewusst vertuscht werden sollen.

Ricciarelli inszeniert die Geschichte spannend und macht vor allem eine historische Phase lebendig, in die sich Nachgeborene kaum mehr hineinversetzen können. Allerdings wirkt Deutschland in den schön fotografierten Bildern des Films wie aus einem Bilderbuch geschnitten: keine Spur von Trümmergrundstücken und Abbruchhäusern. Die Figuren bewegen sich in intakten, oft schmuck ausgestatteten Räumen. Und auch die einfachen Verhältnisse in der Wohnung des jüdischen Malers Simon Kirsch (Johannes Krisch) oder im Modeatelier von Johanns Freundin Marlene (Friederike Becht) spiegeln mehr deren künstlerischen Lebenshintergrund als die realen Lebensbedingungen vieler Menschen dieser Zeit.

Vernähte Augen, verschlossener Mund

Trotz dieser zu glatt geratenen Oberfläche ist „Im Labyrinth des Schweigens“ nun kein Film, der Geschichte verharmlost. Seine Kraft liegt in den klaren Dialogen, welche die Mentalität der Figuren offenlegen. Denn das Team um Bauer und Radmann muss gegen Vorbehalte und Behinderungen der Ermittlungen ankämpfen. Auf Zustimmung und Unterstützung trifft es nur selten. Dass sich Radmann in seiner Arbeit aufreibt und beinahe zum Trinker wird, stellt Alexander Fehling überzeugend dar.

Manchmal scheint der auch sonst stark besetzte Film das Publikum aber doch schonen zu wollen. Während die Zeugen über ihre Erlebnisse in der Internierung sprechen, sehen wir zwar ihre Gesichter, hören aber ihre Aussagen nicht. Stattdessen: Musik. Im krassen Gegensatz dazu steht eine beunruhigende Traumsequenz, die einem Horrorfilm entlehnt sein könnte. Im Schlaf begegnet Radmann einem Monstrum mit vernähten Augen und verschlossenem Mund. Diese Schreckgestalt steht zwar für eine ganz bestimmte Person, gleichzeitig ist sie aber auch der Stellvertreter für alles Verdrängte, das Johann Radmann, Fritz Bauer und letztlich alle Deutschen erst mühsam wieder ins Gedächtnis holen müssen.

Im Labyrinth des Schweigens. Deutschland 2014. Regie: Giulio Ricciarelli. Mit Alexander Fehling, André Szymanski, Gert Voss, Friederike Becht. 123 Minuten. Ab 12 Jahren.