Auch der Meeresboden ist längst ein Arbeitsplatz geworden. Dieser taffe norwegische Spielfilm erzählt von Tauchern, die 1981 Erfahrungen sammeln müssen, wie gefährlich es dort unten tatsächlich zugeht.

Jeder Atemzug schmerzt. In der klaustrophobischen Enge einer Luftdruckkammer kauern Männer, die kaum mehr die Augen offenhalten können. Manche lässt der Sauerstoffmangel hysterisch kichern. Durch ein Bullauge mahnen die Versuchsleiter ihre Probanden, sich zu konzentrieren, wach zu bleiben. Dann meinen die Männer, in der Kammer eine Möwe zu sehen, das Experiment endet abrupt.

 

Die Brüder Petter (Aksel Hennie) und Knut (André Eriksen) sind Berufstaucher mit Leib und Seele. Als vor der norwegischen Küste riesige Ölvorkommen entdeckt werden, sollen sie mit einem kleinen Team Pipelines fünfhundert Meter unter dem Wasserspiegel verlegen. 1981 ist das ein Himmelfahrtskommando. Niemals zuvor hat jemand in dieser Tiefe gearbeitet. Aber Petter und Knut suchen das Abenteuer, sie sind begeistert von dem waghalsigen Unternehmen, auch der Lohn spielt eine nicht unwesentliche Rolle.

Die Strapazen des Trainings – Atemnot, Stress, Wahnbilder wie die Möwe in der Druckkammer – nehmen sie bewusst in Kauf. Doch als Knut bei einem Tauchversuch unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, schlägt Petters Pioniergeist in verzweifelte Wut um. Die Suche nach den Verantwortlichen wird zum Katz-und-Maus-Spiel.

Wie die Ratte im Labyrinth

Würde Erik Skjoldbjaergs „Pioneer“ nicht auf Tatsachen beruhen, könnte man den Plot für ein besonders einfallsreich konstruiertes Krimistück halten. Doch Skjoldbjaerg („Prozac Nation“) stützt sich für sein Drehbuch auf einen authentischen Fall, der erst 2013 in einer Gerichtsverhandlung abgeschlossen wurde. Außer einer internationalen Vertuschungsaktion thematisiert „Pioneer“ auch die menschliche Tragödie. Knut hinterlässt seine Frau und zwei kleine Kinder, nach seinem Tod wird das Geld für die Familie knapp.

Überhaupt kommt der Ökonomie eine große Bedeutung zu. Petter begreift, dass die norwegische Ölgesellschaft das Leben ihrer Angestellten zugunsten des Wohlstandes, den das Rohstoffgeschäft dem Land bringen soll, skrupellos aufs Spiel setzt. Skjoldbjaerg zeigt Petter als gehetzten Mann, der wie eine Ratte im Labyrinth nach einem Ausgang sucht. Bald verschwimmt die Grenze zwischen real vorstellbaren Verstrickungen und paranoiden Schuldzuweisungen.

Eine vollständige Aufklärung findet im Film nicht statt, der Zuschauer bleibt so verwirrt zurück wie Petter. Das ist aber kein Manko dieses schroff und spannend inszenierten Thrillers, sondern seine erzählerische Stärke. Schließlich lässt sich in der Realität nicht immer die gewohnte Ordnung wieder herstellen. Mit der Ungewissheit, wer für den Tod seines Bruders verantwortlich ist, muss Petter weiterleben.

Pioneer. Norwegen, Deutschland, Schweden 2013. Regie: Erik Skjoldbjaerg. Mit Aksel Hennie, André Eriksen, Wes Bentley, Stephanie Sigman. 106 Minuten. Ab 12 Jahren.