Bei der Verfilmung eines Buches von Charlotte Roche erwarten wir Tabubrüche auf der Leinwand. Die will der Regisseur Sönke Wortmann nicht liefern. Beinahe sittsam erzählt er von seelischen Wunden und Therapiesex.

Stuttgart - Wenn ich sterbe, möchte ich erstens verbrannt werden und zweitens, dass meine Asche ganz normal am Abholtag der Müllabfuhr in den Hausmüll, also in die schwarze Tonne, geworfen wird.“ Diese doch etwas unkonventionelle Bestattungsmethode wünscht sich Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson), gerade einmal dreiunddreißig Jahre alt, Mutter einer achtjährigen Tochter, verheiratet mit Georg (Jürgen Vogel). Mit ihm sitzt sie zum x-ten Mal beim Notar, um ihr Testament zu verfassen. Wer so jung das eigene Begräbnis plant, noch dazu ein derartig unwürdiges, muss sich selbst schon ziemlich hassen. Oder einen sehr morbiden Humor besitzen. Auf Elizabeth trifft beides zu.

 

„Schoßgebete“ kam 2011 als zweiter Roman von Charlotte Roche heraus, der Titel knüpft an Roches Debüt „Feuchtgebiete“ von 2008 an. Mit einer verkauften Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren hatte dieser Erstling in den Medien das marketingtechnisch kaum zu überbietende Etikett „Skandalbestseller“ aufgeklebt bekommen. Auch in „Schoßgebete“ geht es um den Tabubruch mit ernstem Hintergrund, skandalös und freizügig aber ist Sönke Wortmanns Verfilmung nicht geraten – ganz im Gegensatz zur filmischen Umsetzung der „Feuchtgebiete“ durch den Regisseur David Wnendt („Kriegerin“) und den Produzenten Peter Rommel.

Trauma statt Körpersäfte

In „Feuchtgebiete“ beschäftigte sich die pubertierende Helen frank und frei mit Hämorriden, Analfissuren, diversen Körperflüssigkeiten und anderen unappetitlichen Dingen. Wnendt fand dafür gebührend ekelerregende Bilder, erzählte aber auch von einem traurigen Teenager, der die Scheidung der Eltern nicht verkraften kann und sich vielleicht aus diesem inneren Schmerz heraus gegen strikte Ansichten über Hygiene, Mädchenhaftigkeit und Anstand wehrt.

In „Schoßgebete“ rücken die emotionalen Probleme von Elizabeth in den Fokus der Handlung, das Körperliche wird eher ein Nebenschauplatz. Die Heldin der Geschichte möchte – anders als Rotzgöre Helen – ihre bürgerliche Existenz genießen, kämpft jedoch mit den Folgen eines Traumas. Georg und Elizabeth leben in einem schicken Einfamilienhaus, die kleine Tochter stammt aus der früheren Beziehung zwischen Elizabeth und Stefan (Robert Gwisdek), mit dem sie sich noch immer gut versteht. Warum die Liebe zerbrochen ist, erfahren wir erst nach und nach.

Sex jenseits der Norm

Sönke Wortmann zeigt eine typische, beinahe spießige Patchworkfamilie, die im Alltag gut funktioniert. Auch Elizabeths Ehe verläuft in relativ harmonischen Bahnen. Nur das Sexleben des Paars weicht etwas von der Norm ab: der gemeinsame Puffbesuch gehört genauso dazu wie das Anschauen von Pornovideos. Anrüchig wirkt das im Film nicht, höchstens ein wenig schräg, was auch in Elizabeths Therapiesitzungen bei Frau Drescher (Juliane Köhler) offen thematisiert wird.

Elizabeth ist keine frustrierte Hausfrau, die bloß eine Schulter zum Ausweinen sucht. Sie leidet unter zahlreichen Neurosen und Panikattacken, die wiederum mit dem Unfalltod ihrer Geschwister zusammenhängen. Sex ist ein wichtiger Faktor in Elizabeths Trauerarbeit. Denn nur wenn sie mit Georg schläft, fühlt sie sich von ihren Schuldgefühlen befreit und lebendig.

Ernst trotz Sextoys

Die wenigen, sehr sittsamen Sexszenen wirken in diesem Zusammenhang recht bemüht, als müsse sich die Regie förmlich zwingen, auch die derberen Aspekte der Vorlage zu berücksichtigen, um mit dem erfolgreichen Vorläufer „Feuchtgebiete“ mithalten zu können. Auch in manchen Dialogen wird diese Schwunglosigkeit zum Problem. Elizabeths fachkundige Erläuterungen zu Sextoys und Fadenwürmern klingen oft albern.

Dabei hat Wortmanns Film verquält kalkulierte Grenzüberschreitungen gar nicht nötig, denn seine Stärke liegt in der beklemmenden und gleichzeitig sehr zurückhaltenden Auseinandersetzung mit Elizabeths Trauer, mit ihren vielfältigen Ängsten und Albträumen.

Kuscheln auf der Heizdecke

So unterschiedlich die Ansätze von Helen und Elizabeth auch sind, in ihrer körperlichen Genussfähigkeit ähneln sich die beiden genauso wie im Hang zur Selbstbestrafung. Während sich die eine in „Feuchtgebiete“ wortwörtlich den Arsch aufreißt, um ihren Krankenhausaufenthalt zu verlängern und damit die Beziehung zum Pfleger Robin zu intensivieren, beschäftigt sich die andere minutiös mit ihrem Ableben und sucht nach geeigneten Prostituierten für ihren Mann. Lust und Schmerz liegen in beiden Geschichten nah beieinander.

Helen zeigt in „Feuchtgebiete“ der verklemmten Gesellschaft den Stinkefinger und genießt allen Problemen zum Trotz ihren Körper, Elizabeth kuschelt aber lieber privat auf einer neuen Heizdecke. Das von der Norm abweichende Verhalten der Figuren ist eben nicht pervers, sondern bloß eine Strategie, um mit psychischem Leid umzugehen.

Schoßgebete. Deutschland 2014. Regie: Sönke Wortmann. Mit Lavinia Wilson, Jürgen Vogel, Juliane Köhler, Robert Gwisdek, Pauletta Pollman. 93 Minuten. Ab 16 Jahren.