Seit 125 Jahren erscheint in London die „Financial Times“ – auf lachsfarbenem Papier und mit hoher journalistischer Qualität auch jenseits von Big Business. Der britische Volksmund sagt, sie werde von Leuten gelesen, die so mächtig sind, dass ihnen das ganze Land gehört.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Sie war immer „die andere“ im britischen Pressewesen, also keine Zeitung, die im Fleet-Street-Getümmel mit Bildern, Schlagzeilen und packenden Stories um eine breite Leserschaft warb. Nein, von den ersten Tagen ihres Erscheinens an, im Februar 1888 und für den Preis von 1 Penny, wollte die „Financial Times“ nichts als „der Freund des ehrlichen Finanziers und des respektablen Maklers“ sein. Schon früh auf lachsfarbenem Papier gedruckt, verstand sie sich als Nachrichtenlieferantin fürs Kapital – als Forum für Aktionäre, Investoren und Bankiers. Kein Wunder also, dass man in Großbritannien bis heute überzeugt ist, dass die konservative „Times“ von Leuten gelesen wird, welche die Macht im Land haben, der progressive „Guardian“ von denen, die finden, dass sie die Macht im Land haben sollten – und die „Financial Times“ von den Leuten, denen das Land tatsächlich gehört.

 

Nun also 125 Jahre alt, hat sich das kurz FT genannte Blatt in dieser langen Zeit ihre Bedeutung als britische Institution erhalten und ist zugleich zu einem international erfolgreichen Medium geworden. Als von der Tagespolitik unabhängiges, liberales Blatt in englischer Sprache, mit hohem Anspruch und hervorragendem Korrespondentennetz, hat sie ihre Leserschaft weit über den Kreis der City-Gents hinaus ausgedehnt. Im letzten halben Jahrhundert hat sie sich als globale Kraft etablieren können. 1979 wurde in Frankfurt die erste europäische Ausgabe der FT gedruckt, 1997 in den USA die erste amerikanische. Schon ein Jahr später stach der internationale Absatz den in Großbritannien aus.

Die Nutzer müssen auch fürs Netz zahlen

Im Jahr 2001 überschritt ihre Gesamtauflage erstmals die 500 000-Marke. Freilich hat seither auch die große FT die Zeitungskrise eingeholt. Mittlerweile ist ihre Auflage auf wenig mehr als die Hälfte gesunken. Allein im Vorjahr ging sie von 320 000 Exemplaren auf 275 000 zurück, verzeichnete also ein Minus von 15 Prozent. Und der Abwärtstrend weist weiter drastisch nach unten.

Spekulationen über einen Verkauf der Zeitung durch das Verlagshaus Pearson wollen nicht abreißen. Pearson hat das Blatt seit 1957 verlegt. Der Verlag dementiert solche Gerüchte aber immer wieder. Und tatsächlich fehlt es der FT auch nicht an Lesern. Nur hat sich eben die Leseweise geändert. Seit vorigem Jahr lesen erstmals mehr Menschen die Financial Times online als in einer Printausgabe. Die meisten der 600 000 FT-Abonnenten finden es bequemer und schneller, sich ihre Informationen vom Schirm oder vom Handy zu holen. Und da die FT für alles Gebühren verlangt, kommt ihr die hohe Abo-Zahl sehr zugute. Erstmals wird sie in diesem Jahr mehr Geld durch Nutzergebühren als durch Werbung einstreichen.

Für den Chefredakteur Lionel Barber ist der Übergang zur elektronischen und mobil anzapfbaren „Financial Times“ jedenfalls nicht aufzuhalten. Im Januar hat er seine Redaktion wissen lassen, dass „wir sicher stellen müssen, dass wir in erster Linie eine digitale Plattform produzieren – und nur in zweiter Linie eine Zeitung“. Die Parole „Digital First“ bedeutet mehr Investition in den Online-Betrieb und weitere Kürzungen bei der Printausgabe. Doch ganz will auch Barber die Printausgabe nicht sterben lassen. Und zwar nicht nur, um die „zugegebenermaßen älteren Käufer“ des Blattes bei Laune zu halten, die das Rascheln einer Zeitung nicht missen mögen. Sondern auch, weil einzelne Elemente, etwa die samstäglichen Hochglanzmagazine, wichtig fürs Werbegeschäft sind. Und weil die Existenz der materiellen Zeitung, der alten lachsfarbenen FT, als greifbarer Markenartikel weiterhin gebraucht wird.

Wenn mal keine FT mehr „morgens schön pink auf die Matte“ purzle, warnt der Medienexperte und ehemalige Redaktionsleiter des „Guardian“, Peter Preston, werde es nämlich schwierig mit der Identität. „Wenn die Printausgabe welkt: Woraus besteht dann noch die neue FT? Aus einem Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenservice für den Leser“ – also just aus dem, was auch auch andere weltweit offerierten. Wo liege dann noch der Unterschied?

FT-Chef Barber räumt ein, dass es „ein delikater Trapezakt“ zwischen Print und Online ist, mit dem er die Fleet-Street-Veteranin heil über die Zeiten zu bringen sucht. „Wir müssen für einen behutsamen Übergang sorgen“, meint Barber, „aber genau das tun wir ja auch.“