Die Stuttgarter Straßenbahnen stehen vor gewaltigen Aufgaben. Der SSB-Aufsichtsrat hat anhand verschiedener Szenarien nun die ungeschminkte Wahrheit präsentiert bekommen.

Stuttgart - Die Stadt steht vor gewaltigen finanziellen Herausforderungen – nicht nur in Sachen Kultur, wo die Freunde der schönen Künste Investitionen in Höhe von mindestens 300 Millionen Euro in den nächsten Jahren (Oper, Stadtmuseum, Wagenhallen, Theaterhaus) bereits für beschlossene Sache erachten und darüber hinaus von „Leuchttürmen“ wie einer Philharmonie und einem neuen Linden-Museum hinterm Bahnhof träumen.

 

So drohen höhere Defizite beim Klinikum. Während die Krankenhäuser bisher rund fünf Millionen Euro Minus aus der Stadtkasse pro Jahr ersetzt bekommen haben, muss nun, falls der Geschäftsführung nichts einfällt, mit regelmäßigen Ausgleichszahlungen von bis zu 50 Millionen Euro gerechnet werden. „Das ist unser Griechenland“, heißt es schon im Rathaus.

SSB stehen vor gewaltigen Aufgaben

Noch dramatischer stellt sich aber die Situation bei den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) dar. Deren Fahrzeuge, Gebäude und Verkehrswege werden schon heute deutlich geringer bezuschusst als früher. Welche Unterstützung im Anschluss an die 2019 endende Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zu erwarten ist, wird sich erst herausstellen, wenn sich Bund und Länder über ein Finanzpaket geeinigt haben. Bisher ist nichts vorgesehen. Mit höheren Zuschüssen wird nicht mehr gerechnet. Weil die SSB aber vor gewaltigen Aufgaben stehen, hat der SSB-Aufsichtsrat nun die ungeschminkte Wahrheit präsentiert bekommen. In verschiedenen Szenarien bis 2030 soll der Vorstand eine exorbitante Steigerung des jährlichen Defizits und der Verschuldung in Aussicht gestellt haben.

Die SSB finanzieren ihren Betrieb heute nur zu zwei Dritteln aus Ticketerlösen. Unterm Strich blieb bisher ein jährliches Minus von 17 Millionen Euro – zuletzt aber nur, weil Reparaturen wie das Schleifen von Schienen und die Sanierung von Gebäuden reduziert wurden.

SVV-Spezialfonds bringen immer weniger ein

Dieser Betrag wird von der städtischen Tochter SVV beglichen, die rund 700 Millionen Euro aus dem Verkauf der Energieanteile angelegt hat. Diese Briefkastenfirma verrechnet steuermindernd die Gewinne von Stadtwerken, Hafenbetrieb und Telekommunikationsdiensten mit dem SSB-Verlust. Dieser sollte nie höher als 25 Millionen Euro sein, von 2019 an droht nun aber ein Minus von bis zu 70 Millionen Euro pro Jahr. Problematisch: die Spezialfonds beim SVV bringen wegen der Zinsflaute immer weniger ein. Die Personalkosten bei den SSB stiegen dagegen deutlicher als die prognostizierten zwei Prozent.

2013 haben die SSB rund 92 Millionen Euro in Neu- und Ausbaumaßnahmen sowie in nachhaltige Fahrzeuge investiert. Ein Stadtbahnwagen schlägt mit vier Millionen Euro zu Buche, der 200 Einheiten starke Fuhrpark muss mittelfristig ersetzt werden. Die Verschuldung steige von 70 auf bis zu 900 Millionen Euro, heißt es im Aufsichtsrat. Die SSB könnte die Zinsen dafür gar nicht leisten. Die Prognosen seien vorsichtig – und hätten keine Angebotsverbesserungen zur Folge. Bisher hat der SSB-Vorstand Ticketpreiserhöhungen mit optimierten Leistungen begründet. Künftig müssten also die Fahrgäste zufrieden sein, wenn sich der Service nicht verschlechtert.

Ohne massiven Mitteleinsatz würde eines der Hauptziele von OB Fritz Kuhn (Grüne), die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, in weite Ferne rücken. Unabhängig davon will Kuhn aber in zwei Wochen mit einer zweiwöchigen Bürgerbeteiligung zum Nahverkehrsplan geklärt wissen, wo die Nutzer Takte verdichtet und Linien optimiert haben wollen.

Wenn der Bund die Fördermittel nicht erhöhe, werde es schwierig für den ÖPNV, sagt Peter Pätzold (Grüne).Dabei wäre eine Unterstützung sinnvoll, etwa wegen des Feinstaubs. Martin Körner (SPD) fragt sich, wie Kuhn bei rückläufigen Gewerbesteuereinnahmen den zusätzlichen Bedarf finanzieren möchte. Er hofft, dass die Rathausspitze „noch vor der Sommerpause“ alle Projekt-Wunschlisten zur Diskussion stellt. Körner hatte zuletzt die Vorfestlegung der Rathausspitze bei der Sanierung der Wagenhallen kritisiert. Merkwürdig erscheint Stadträten auch, dass es beschlossene Sache zu sein scheint, für die Beteiligung an der Sanierung der Oper (150 bis 200 Millionen Euro) die für 2019/2020 erwarteten Provisionserträge aus der Bürgschaft für LBBW-Schrottpapiere zu verwenden. Kein Projekt, so Körner, dürfe jetzt nur mehr für sich bewertet werden.