Lange konnten sich Bund und Länder nicht auf höhere Zuschüsse für den Nahverkehr einigen. Nun ging alles ganz schnell. Besonders nach Baden-Württemberg fließen demnächst höhere Bundeszuschüsse für die Schiene.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Völlig überraschend ist in der Nacht zu Freitag der lange und heftige Streit um höhere Bundeszuschüsse für den Regionalverkehr auf der Schiene beigelegt worden. Die Bundesregierung und die Bundesländer einigten sich bei den Verhandlungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik auf einen Kompromiss. Demnach werden 2016 die Bundeszuschüsse für den Nahverkehr auf der Schiene von bisher 7,3 auf acht Milliarden Euro erhöht. In den Folgejahren sollen die Mittel um jeweils 1,8 Prozent (bisher 1,5) angehoben werden.

 

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte die Erhöhung der Regionalisierungsmittel bisher strikt verweigert, weil er eine komplette Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern durchsetzen wollte. Der Streit landete im Vermittlungsausschuss, in den Ländern drohten wegen fehlender Zuschüsse Kürzungen beim Nahverkehr. Nun ging im Rahmen der Debatten über die Flüchtlingspolitik plötzlich alles ganz schnell. Die Kanzlerin sprach nach Einschätzung von Beobachtern ein Machtwort, kam den Ländern entgegen und erklärte nach der Sitzung, das strittige Verfahren sei „nebenbei“ so gut wie abgeschlossen worden.

Bund investiert Rekordsumme in ÖPNV

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nannte die Einigung eine wichtige Weichenstellung. Der Bund werde eine Rekordsumme in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Dobrindt forderte die Länder dazu auf, bei Ausschreibungen im Nahverkehr auf kostenloses Wlan in den Zügen als Standard zu bestehen. Dann könne die Schiene „das Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts werden“.

Ebenfalls überraschend wurde bei dem Spitzentreffen auch die Verlängerung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes über 2019 hinaus beschlossen. Das Gesetz ist eine wichtige Grundlage für kommunale Verkehrsprojekte. An der ungewissen Verlängerung drohten nach Angaben der Länder immer mehr Vorhaben zu scheitern. Nun erhielten wichtige ÖPNV-Projekte im Südwesten „eine konkrete Finanzierungsperspektive“, erklärte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Als Beispiele nannte er die Regionalstadtbahn Neckar-Alb, die S-Bahn-Verlängerung nach Neuhausen/Filder, die Stadtbahn Ludwigsburg, die Regio-S-Bahn Donau-Iller und das Mobilitätsnetz Heidelberg.

Hermann zeigt sich erleichtert über die Beschlüsse. Nun gebe es endlich Finanzierungssicherheit im Schienennahverkehr für die nächsten 15 Jahre. Baden-Württemberg habe zudem einen größeren Anteil an den Bundesmitteln durchgesetzt, statt bisher 10,44 fließen künftig 12,37 Prozent der Bundeszuschüsse in den Südwesten. Ein Erfolg sei auch, dass künftig eine Preisbremse bei der Nutzung des bundeseigenen DB-Schienennetzes eingebaut werden soll. In den letzten Jahren sind die Trassenpreise der DB Netz, die alle Regionalzüge zahlen müssen, stark gestiegen und fressen so einen wachsenden Teil der Mittel auf.

Baden-Württemberg prüfte eine Verfassungsklage

Der Streit zwischen Bund und Ländern um die weitere Finanzierung des Regionalverkehrs auf der Schiene war zunehmend eskaliert. Baden-Württemberg hatte sogar eine Verfassungsklage geprüft und wie berichtet ein Rechtsgutachten eingeholt, in dem der Jurist Joachim Wieland von der Universität Speyer zum Ergebnis kommt, dass die vom Bund für das Jahr 2015 gezahlten Beträge „rechts- und verfassungswidrig zu niedrig“ seien. Demnach habe der Bund die verfassungsrechtlich gebotene Neuregelung der Regionalisierungsmittel versäumt und so die Grundrechte der Länder verletzt. In Artikel 106a der Verfassung ist seit 1996 geregelt, dass die Bundesländer die Kosten des Regionalverkehrs vom Bund ersetzt bekommen. Der bisherige Vertrag dazu lief 2014 aus und sah 1,5 Prozent Erhöhung pro Jahr vor. Schäuble wollte die Regelung noch für ein Jahr fortschreiben, die Länder lehnten die Erhöhung um 1,5 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro im Haushalt 2015 aber als zu gering ab. Deren Experten veranschlagten den Bedarf auf 8,5 Milliarden Euro pro Jahr, ein Gutachten des Bundesverkehrsministeriums sah dafür knapp 7,7 Milliarden Euro vor.

Verkehrsverbände begrüßten die Einigung am Freitag. Die Allianz pro Schiene sprach von einem „guten Tag für alle Bahnfahrer“, allerdings müssten nun die Details noch rasch geklärt werden. Angebotserweiterungen im Nahverkehr vor allem in den weiter wachsenden Metropolregionen ließen sich mit den acht Milliarden Euro und der zu geringen Steigerung von jährlich 1,8 Prozent allerdings nicht finanzieren. Der Verkehrsclub Deutschland forderte klare Finanzierungszusagen für die nächsten zehn Jahre. Ein guter Nahverkehr auf der Schiene brauche Planungssicherheit.