Der Projektsteurer sieht 95 Prozent der Gefahren in der späteren Bauphase des Bahnhof-Projektes. Dafür sei es allerdings nicht abgesichert.

Stuttgart - Könnte den Partnern des Großprojekts Stuttgart 21 während des Baus das Geld ausgehen? Während die Deutsche Bahn betont, die Kosten im Griff zu haben - nach Vergabe von einem Viertel der Aufträge sieht sie sich im Plan - und auf den noch mit zehn Prozent der Projektsumme gefüllten Risikotopf für Mehrkosten verweist, lässt ein bahninternes Papier mit einer Bewertung der Projektsteuerer Drees & Sommer vom November 2007 aufhorchen. Darin verweisen die Stuttgarter darauf, dass 95 Prozent der Kostenrisiken erst in der mittleren und späten Bauphase lauerten.

 

Bemerkenswert an dem Schreiben, das der StZ vorliegt, ist, dass man bis 2012 lediglich mit 70 Millionen Risikopotenzial kalkuliert; zwischen 2013 und 2015 wird mit 730 Millionen gerechnet (50 Prozent), danach bis zur Fertigstellung geht man von 650 Millionen (45 Prozent) aus. Tatsächlich mussten bis heute aber nicht nur 70 Millionen, sondern mehr als eine Milliarde aus der mit 1,45 Milliarden Euro gefüllten Reserve entnommen werden.

Der Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte bekanntlich im Februar 2010 verkündet, die Bau- und Planungskosten hätten sich von 3,076 auf 4,088 Milliarden erhöht, weshalb der Risikotopf angetastet werden müsse. Inoffiziell lagen die Zahlen höher. Drees & Sommer hatte sogar 4,9 Milliarden Euro ermittelt; dieser Betrag wurde jedoch um- bisher nur teilweise realisierte - "Einsparpotenziale" unter die vereinbarte Obergrenze von 4,52 Milliarden Euro gedrückt.

Dokument von 2007 sei überholt

Seitdem befinden sich im Risikotopf nur noch 430 Millionen Euro - offiziell. Tatsächlich ist die Reserve weiter geschmolzen. Das im Stuttgart-21-Stresstest, der die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs belegen sollte, unterstellte zweite Gleis zum Flughafen (35,1Millionen Euro Bau- und Planungskosten) ist ebenso wenig berücksichtigt wie die zusätzliche Signaltechnik für Regionalzüge und S-Bahnen (17,5 Millionen Euro), eine zusätzliche GSM-R-Funkverbindung zwischen Fahrzeugen und Stellwerk (23,4 Millionen Euro) sowie die Weichenverbindung nördlich von Feuerbach (2,3 Millionen Euro). Gleiches gilt für Zusatzkosten durch Änderungen im Flughafenbereich, beim Grundwassermanagement und bei der Großen Wendlinger Kurvet. Damit ist auch die Prognose von Drees & Sommer Makulatur, die in ihrer Einschätzung im November 2007 von insgesamt 1,2 Milliarden Euro Bedarf an Risikofondsmitteln ausgegangen war.

Interessant ist der damalige Hinweis auf die Höhe der in "Jahresscheiben" einzuteilenden Risikomittel: Dass der Umfang der Reserve 1,45 Milliarden Euro betragen werde, hatten die Projektpartner erst ein Jahr später eingeräumt, und auch erst, nachdem die Gutachter Vieregg & Rössler eine Kostenexplosion prophezeit hatten. Im Finanzierungsvertrag von 2009 werden übrigens Mehrkosten von mehr als einer Milliarde Euro als "unwahrscheinlich" bezeichnet.

Das Kommunikationsbüro von Stuttgart 21 bezeichnete das Domument von 2007 als "überholt". In der Schlichtung sei die Plausibilität der Finanzierung bestätigt worden. Es lägen keine Hinweise vor, dass die Gesamtfinanzierung von 4,526 Milliarden Euro (inklusive Risikopuffer) nicht ausreichend bemessen wäre.

Aktionsbündnis kritisiert Planänderungsverfahren

Unterdessen hat das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, dem mittlerweile auch die Schutzgemeinschaft Filder beigetreten ist, das am Montag begonnene Planänderungsverfahren für den Fildertunnel (Abschnitt 1.2) kritisiert. Während bei der Schlichtung im vergangenen Jahr versucht worden sei, "der Geheimniskrämerei der Bahn und der öffentlichen Verwaltung ein Ende zu setzen", gehe es jetzt so weiter.

Das Bündnis kritisiert, dass in den vom Fildertunnelbau betroffenen Stadtteilen Möhringen (Baustellenerschließung) und Plieningen (Tunnelmund) sowie in Leinfelden-Echterdingen die Pläne nicht ausgelegt würden. Dies geschieht im Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in der Eberhardstraße 10 in der Innenstadt. Außerdem können die Unterlagen im Internet auf der Seite des Regierungspräsidiums Stuttgart aufgerufen werden.

Steffen Siegel, der Sprecher der Schutzgemeinschaft, sagt, er verstehe die Hektik der Bahn nicht. Sie habe bereits Aufträge für den Tunnelbau vergeben, ohne die Genehmigung für die Verdoppelung der Fluchtstollen, die Änderung des Querschnitts und das neue Vortriebsverfahren sicher zu haben.