Eine alternde Bevölkerung in Kombination mit einer schwächelnden Wirtschaft wäre für das Rentensystem eines jeden Landes ein Problem. Für Griechenland ist dies eine Katastrophe.

Athen - Unter dem Druck der internationalen Kreditgeber versucht die Regierung in Athen das Unmögliche: eine Rentenreform ohne spürbare Kürzungen. Erreicht werden soll dies vor allem durch einen Aufschlag bei den Sozialabgaben. An einer Reform führt kein Weg vorbei. Denn ohne weitere Hilfsgelder droht den Griechen nach wie vor der Staatsbankrott. Trotzdem stoßen die Pläne auf viel Kritik, vor allem bei den Gewerkschaften.

 

Die Folge der Reform wäre eine zusätzliche Last auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands - eine Gruppe, die gegenüber den Rentnern und den Arbeitslosen im Land längst in der Unterzahl ist. Kritiker warnen, dass die Last schlicht zu schwer werden könnte. Die wenigen, die noch in Lohn und Brot seien, könnten es sich nicht mehr lange leisten, für den gesamten Rest mitzubezahlen. „Wir kämpfen um unser Überleben“, sagt Georgios Stassinos, Chef der größten Ingenieursgewerkschaft.

Selbstständige und Landwirte besonders betroffen

Besonders hart würde es Selbstständige und Landwirte treffen. Die neuen Regelungen würden sie zwingen, bis zu drei Viertel ihrer Einnahmen an die Renten- und Steuerkasse abzugeben. Vielen bliebe da womöglich nur die Wahl, entweder einen neuen Job zu finden oder auszuwandern. Das Land würde also noch mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte verlieren - ein Trend, der Griechenland seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2010 zu schaffen macht. Werde die Reform umgesetzt, sagt Stassinos, „bleibt das Land ohne Ingenieure, Ärzte, Anwälte, Apotheker und Ökonomen zurück“.

Der Leiter der griechischen Rechtsanwaltskammer, Vassilios Alexandris, sieht das ähnlich. Ihm zufolge blieben einigen Anwälten im Rahmen des neuen System als Nettoverdienst nur noch 31 Prozent der Bruttoeinnahmen. Bisher seien es immerhin 46 Prozent. „Die Selbstständigen werden ihre Beiträge nicht zahlen, nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es nicht können“, sagt Alexandris.

In den Städten haben auch diese an sich eher gut verdienenden Berufsgruppen bereits eine Reihe von Demonstrationen veranstaltet - ihre Proteste wurden im Land als „Krawatten-Revolution“ bekannt. Noch deutlicher ist die Unzufriedenheit aber auf dem Land, wo Bauern zum Teil seit mehr als zwei Wochen wichtige Straßen blockieren. Die Rentenreform sieht unter anderem neue Steuern auf Subventionen und einen Anstieg des Beitrags der Landwirte zur Rentenkasse von sieben auf 28 Prozent vor. Unterm Strich müsse er dann 75 Prozent seines Einkommens an den Staat abgeben, sagt Costas Alexandris, Führer einer Bauerngewerkschaft in der nordöstlichen Region Thrakien.

Die sechstälteste Bevölkerung der Welt

Doch was wäre die Alternative? Griechenland hat laut Statistiken der UN von allen Ländern auf der Welt die sechstälteste Bevölkerung. Mehr als 16 Prozent des griechischen Bruttosozialprodukts werden für Renten ausgegeben. Von den etwa elf Millionen Einwohnern des Landes haben nur 3,6 Millionen einen Job - 1,2 Millionen sind arbeitslos, 2,66 Millionen sind Rentner. Das System ist also aus dem Gleichgewicht und droht also zu kippen.

Frühere Regierungen waren in Sachen Rentenansprüche den Wählern gegenüber großzügig. So erhielten oft auch diejenigen eine üppige Pension, die zuvor kaum einen Beitrag geleistet hatten. In manchen Fällen war die Rente sogar höher als der im Arbeitsleben erreichte Lohn.

Trotz mehrerer Kürzungsrunden seit dem ersten Sparpaket im Jahr 2009 liegt die Durchschnittsrente heute noch immer bei etwa 900 Euro. Einer aktuellen Untersuchung zufolge sind die Rentenzahlungen damit für 52 Prozent der griechischen Haushalte die wichtigste Einnahmequelle - eine Situation, die noch 2011 immerhin nur auf 40 Prozent der Haushalte zutraf.

Arbeitsminister George Katrougalos verteidigt seine Pläne - auch die zusätzliche Belastung der Landwirte, die aus Sicht der Regierung bisher zu wenig zu ihren eigenen Rentenkassen beitragen. Griechenland brauche ein Rentensystem, in dem die Angestellten mit festem Gehalt nicht auch die Renten anderer zu finanzieren hätten, sagt er. Sein Reformentwurf sieht zudem vor, alle bisherigen Rentenfonds in einem einzigen Fonds, mit einheitlichen Regeln, zu bündeln.

Syriza-Partei vor eine Zerreißprobe

Die derzeitigen Proteste entbehren nicht einer gewissen Ironie - zumal sie sich gegen die linke Regierungspartei Syriza richten. In früheren Jahren war es fast immer eben diese Syriza, damals noch als kleine Oppositionspartei, die selbst zu Demonstrationen gegen jegliche Art von Kürzungen aufrief. Vor allem das Versprechen, die Sparmaßnahmen vorheriger Regierungen rückgängig zu machen, hatte Alexis Tsipras zum Ministerpräsidenten gemacht. Dass ausgerechnet er und seine Mitstreiter es nun sind, die diese Reform durchsetzen müssen, stellt auch die Partei vor eine Zerreißprobe.

Die Mehrheit im Parlament ist hauchdünn - Tsipras Koalition verfügt nur über 153 der 300 Sitze. Wirtschaftsexperten warnen daher vor neuen Turbulenzen in der griechischen Krise. „Bisher haben diese Proteste nicht den Zusammenhalt der Regierung bedroht, aber das wird nicht immer so sein“, sagt Megan Greene, Chefökonomin des Finanzdienstleisters Manulife Asset Management. „Die Regierung von Tsipras hat nur wenig Gestaltungsspielraum.“

Nach Ansicht des früheren griechischen Arbeitsministers Tassos Giannitsis, der vor 15 Jahren mit großen Reformplänen am Widerstand der Gewerkschaften scheiterte, hat gerade das aufgeblähte Rentensystem ganz wesentlich zum Ausbruch der Finanzkrise des Landes beigetragen. So lange es darum gehe, weitere Rentenkürzungen zu verhindern, würden die Belastungen für die arbeitende Bevölkerung steigen, sagte er kürzlich bei einer Podiumsdiskussion. Gleichzeitig werde der jungen Generation jede Sicherheit dahingehend genommen, künftig einmal selbst eine Rente zu erhalten.