Auf seiner letzten Auslandsreise in Washington erfährt Finanzminister Wolfgang Schäuble viel Zuspruch. Der Abschied fällt ihm schwer.

Washington - Die Überraschung kommt am Ende. Als der Lenkungsausschuss des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Samstag in Washington zusammentritt, steht die Lage der Weltwirtschaft auf dem Programm. Doch dann werden bei der vertraulichen Zusammenkunft der Finanzminister und Notenbankchefs aus aller Welt Bilder aus Wolfgang Schäubles Leben eingeblendet. Das sei bewegend gewesen, erzählt einer, der dabei war. Dass die versammelten Finanzpolitiker und Zentralbanker auf diese Weise einen der Ihren würdigen, passiert in der Geschichte des IWF nicht oft. Dafür sind die Amtswechsel in einem globalen Gremium zu häufig. Doch vom Bundesfinanzminister wollen sich alle verabschieden – sogar diejenigen, die mit ihm einige Kämpfe ausgefochten haben. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, sagt, er sei voller Bewunderung für Schäuble. „Nicht nur Deutschland kann stolz auf ihn sein, sondern alle Europäer.“ An diesem Wochenende kann sich Schäuble vor Würdigungen kaum retten.

 

Häufig ist der Finanzminister in den acht Jahren seiner Amtszeit in die USA gereist. Allein acht Mal war er bei der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Schäuble ist ein Mann der Disziplin, er fehlt bei Auslandsterminen fast nie. Die Eurogruppe in Brüssel und die internationalen Treffen haben für ihn Priorität. Dieses Mal ist es anders. Es ist Schäubles letzte Auslandsreise als Finanzminister. Im Flugzeug liegt ein Ordner mit der Aufschrift „G 20 Germany 2017“ vor ihm. Die Sammlung mit Vorlagen ist dünner als sonst. „Das ist eine Abschiedsreise, weil wir die G-20-Präsidentschaft an Argentinien übergeben“, sagt Schäuble verschmitzt.

Seine lange Erfahrung bringen ihm im Ausland viel Respekt ein

Natürlich ist es zuallererst seine Abschiedstour. Der 75-Jährige ist dienstältester Finanzminister im Kreis der großen Industrie- und Schwellenländer (G20). Seine lange Erfahrung bringt ihm im Ausland viel Respekt ein. Als Schäuble vor Kurzem in Paris war, lud ihn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in den Elysée. Protokollarisch ist das ungewöhnlich und zeugt von der Wertschätzung. Auch in Washington wiederholt sich das ständig. „Ich muss dieses Mal richtig arbeiten“, sagt Schäuble scherzhaft. Viele Delegationen haben um ein Treffen mit dem deutschen Minister gebeten. US-Finanzminister Steven Mnuchin hat Schäuble zu einem privaten Essen eingeladen, was eine besondere Ehre ist. Auch mit der IWF-Chefin Christine Lagarde kommt der Badener zusammen. Beide sind befreundet, Lagarde flog auch zu Schäubles 70. Geburtstag nach Berlin. Nur vorübergehend kühlte die Verbindung in den vergangenen Jahren wegen des Streits um Griechenland ab. Jetzt sagt die Französin: „Ich bin traurig, dass er geht.“

Wie kaum einer seiner Vorgänger sucht Schäuble die internationale Bühne. Die Treffen der Eurogruppe gehörten schon immer dazu. Schäuble findet besonders an G 20 Gefallen. Er sieht diesen Kreis als Netzwerk für die Globalisierung. Ob es um das Austrocknen von Steueroasen oder Anstrengungen für mehr Wachstum geht – von der G 20 gehen wichtige Anstöße aus. Schäuble genießt die Auftritte vor internationalem Publikum.

Die langen Linien interessieren ihhn mehr als Einzelheiten von Steuergesetzen

In der Zeit der schwarz-gelben Koalition, als die Liberalen wegen des Ausbleibens der Steuerreform schlecht auf Schäuble zu sprechen waren, nannten sie ihn Finanzphilosophen. Das sollte abfällig klingen. Es enthält etwas Wahres. Die langen Linien interessieren ihn mehr als Einzelheiten von Steuergesetzen. Wenngleich Schäuble als Jurist genau weiß, wo die Fallstricke liegen, gilt sein Augenmerk den großen Fragen: das sind Europa und die Globalisierung. Darüber will er vor allem sprechen. Vor einem Jahr stellte er sich mit der IWF-Direktorin einem Kreuzverhör eines BBC-Moderators. Wolfgang Schäuble weiß um seine begrenzte Ausdrucksfähigkeit im Englischen. Doch er geht den Debatten nicht aus dem Weg.

Als der Minister vor einigen Jahren einmal von einem längeren Auslandstrip nach Hause flog, erzählte er, warum ihm der große Auftritt in englischer Sprache schwerfällt. Schäuble ist im Hochschwarzwald aufgewachsen. Weil seine Heimat an der Grenze zu Frankreich liegt, lernte er Französisch. In dieser Sprache kann er sich gut ausdrücken. Englisch war zweite Wahl. Dass dieser Mann aus Hornberg, der weit weg von Metropolen aufgewachsen ist, in vielen Ländern sein Publikum findet, ist seine ganz persönliche Erfolgsbilanz.

Der Wind hat sich gedreht: Vor einigen Jahren wurde Schäuble für seinen Sparkurs kritisiert

Die Tage in Washington sind wie gemacht für die Abschiedstour. Als Europa vor Jahren mit der Eurokrise beschäftigt war, musste sich der deutsche Minister in der US-Hauptstadt heftiger Angriffe erwehren. Das drohende Auseinanderbrechen des Euro, die Schuldenkrise und die Dauerprobleme Griechenlands brachten ihn in Erklärungsnot. Das ist Vergangenheit. Die Aussichten für die Weltkonjunktur sind gut, der Euroraum gehört zu den Wachstumstreibern. Mit Genugtuung registriert Schäuble, dass der IWF den Schuldenabbau fordert, um gegen künftige Krisen gewappnet zu sein. Vor einigen Jahren wurde Schäuble noch vom IWF kritisiert, weil er zu viel sparte. Der Wind hat sich gedreht.

Schäuble ist der Erfinder der schwarzen Null. Nach 45 Jahren war er der erste deutsche Finanzminister, der hohe Staatsüberschüsse erzielte. Ob das in der Zukunft so bleibt, ist offener denn je. Vielleicht hat auch dieser Umstand bei Schäuble die Erkenntnis reifen lassen, dass er das Amt auf dem Höhepunkt des Erfolgs abgeben sollte. Zu den Gründen für seine Kandidatur als Bundestagspräsident finden sich unterschiedliche Versionen. Schäuble selbst sagt, es sei seine ureigene Entscheidung gewesen, die lange gereift sei. Zuerst habe er dies mit seiner Familie besprochen, dann mit den Unionsspitzen. „Acht Jahre als Finanzminister sind genug“, sagt er in Washington. Er verweist auf sein Alter. Eine Rolle dürfte auch gespielt haben, dass ihm aus diesem repräsentativen Amt der Schritt in den Ruhestand leichter fällt. Doch in Berlin ist auch eine andere Version der Geschichte zu vernehmen. Die lautet: Wäre es nach Schäuble gegangen, hätte er gerne als Finanzminister weitergemacht. Doch die Kanzlerin konnte oder wollte keine Zusagen geben. In einer Jamaika-Koalition mit vier Parteien wird es für die Union ohnehin schwer, das Finanzressort zu behalten. Wahrscheinlich sind beide Deutungen richtig. Schäuble wirkt jedenfalls mit sich im Reinen.

In schwierigen Zeiten kann sich die Kanzlerin auf Schäuble verlassen

Natürlich fällt jemand wie er, der sich am liebsten im Maschinenraum der Politik aufhält, der Abschied schwer. Einen großen Teil seiner politischen Karriere verbrachte er in der Exekutive. Er war unter Helmut Kohl Kanzleramtsminister und Innenminister. Später in der großen Koalition von 2005 bis 2009 leitete er das Innenressort, dann wechselte er 2009 ins Finanzministerium. Insgesamt kommt er auf 17 Jahre Regierungserfahrung. Das ist immer noch der kleinere Teil seines Berufslebens. Seit 45 Jahren gehört Schäuble dem Bundestag an. Er war CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender und bis zum Rücktritt wegen der Parteispendenaffäre CDU-Vorsitzender. Fasziniert hat ihn immer die Möglichkeit zu gestalten – das bewies er beim Aushandeln des deutsch-deutschen Einigungsvertrages oder bei der Euro-Rettung. Seine Maxime lautet, dass für Deutschland solche Lösungen gut sind, die Europa stark machen.

Dass sich die Kanzlerin Angela Merkel auf Schäuble in schwierigen Zeiten verlassen kann, zeigte sich in diesem Jahr. Als im Frühjahr die G-20-Finanzministerkonferenz in Baden-Baden in einem Debakel endete, weil sich die USA nicht zum freien Handel bekennen wollte, bemühte sich Schäuble um Schadensbegrenzung. Er verhinderte, dass die Amerikaner an den Pranger gestellt werden. In vielen Gesprächen mit dem US-Finanzminister leistete Schäuble Überzeugungsarbeit. Die großen Erfolge der deutschen G-20-Präsidentschaft blieben zwar aus. Doch immerhin konnte die Bundesregierung Schlimmeres verhindern: etwa, dass die USA die gefürchtete Grenzausgleichsteuer einführt, die deutschen Exporteuren geschadet hätte. Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter beschreibt die Rolle so: Wenn der Minister bei seinen Gesprächen mit der US-Administration Erinnerungen an ein persönliches Gespräch mit dem früheren US-Präsidenten Ronald Reagan einflechtet, bleibt das nicht ohne Eindruck. Schäubles Wort hat auch in Washington Gewicht.

In Südeuropa hat Schäuble wegen seiner Sparpolitik viele Feinde

Dagegen hat Wolfgang Schäuble in Südeuropa wegen seiner Sparpolitik viele Feinde. Deshalb hat ihm gefallen, was eine portugiesische Nachrichtenagentur kürzlich über ihn geschrieben hat: „Wolfgang bleib, wir vergeben dir.“