Die Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss perlt inzwischen an Wolfgang Schäuble ab. Doch der Bundesfinanzminister macht es sich zu einfach. Er sollte für einen Abbau der Überschüsse kämpfen, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Vermutlich ist es Wolfgang Schäuble nach Jahren der Kritik inzwischen eher lästig als unangenehm. Auch bei der diesjährigen Tagung der internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank muss sich der Bundesfinanzminister harsche Kritik anhören – an den hohen Exporten Deutschlands, dem niedrigen Eurokurs, den geringen heimischen Investitionen, kurz: dem Leistungsbilanzüberschuss.

 

Deutschland exportiert Jahr für Jahr viel mehr Produkte und Dienstleistungen, als es einführt. Auf gewaltige 280 Milliarden Euro oder mehr als acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts belief sich der Saldo 2016. Und die Kritik daran besteht nicht nur fort, sie wächst. IWF und EU-Kommission stören sich schon lange an den Ungleichgewichten. Neue Schärfe in die Debatte bringt US-Präsident Donald Trump. Die USA würden durch einen künstlich niedrigen Eurokurs geschädigt und würden sich notfalls mit Handelsschranken gegen vermeintlich unfaire Praktiken wehren. Und nun hat auch noch der einzige Hoffnungsträger bei der französischen Präsidentschaftswahl, der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron, ins gleiche Horn geblasen: Der deutsche Überschuss schade allen, postuliert er.

Bundesregierung weist die Vorwürfe zurück

Nun hat sich Schäuble trotz seiner jahrelangen Routine im Abwehren solcher Vorwürfe vor seiner Reise nach Washington noch einmal extra munitionieren lassen. Im Kern, so haben es ihm die Experten des CDU-geführten Finanz- und des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums angeblich nach langem Ringen aufgeschrieben, könne die Bundesregierung kaum etwas dagegen unternehmen. Wenn deutsche Produkte so gut seien, dass die ganze Welt sie kaufen wolle, wer möge dagegen etwas sagen? Der Eurokurs liege, leider, außerhalb der Reichweite der Politik. Da mögen sich die Kritiker doch an die Europäische Zentralbank wenden. Zudem sei die Bundesregierung nicht tatenlos geblieben, sondern habe etwa den Mindestlohn eingeführt und die öffentlichen Investitionen erhöht, so dass die Inlandsnachfrage gestiegen sei. Gepaart mit den überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen für die Arbeitnehmer werde der Leistungsbilanzüberschuss in den kommenden Jahren ohnehin sinken. So weit ist die große Koalition also einig, und so weit hat sie auch recht.

Schäuble macht es sich zu einfach

Und doch machen es sich Schäuble und das schwarz-rote Bündnis zu einfach. Der Stärke deutscher Unternehmen im Export steht nämlich eine Konsum- und vor allem Investitionsschwäche im Inland gegenüber – der Handelsexperte Gabriel Felbermayr vom Münchener Ifo-Institut nennt dies das Yin und das Yang der Leistungsbilanz. Die genannten rund 280 Milliarden Euro im Jahr finden nämlich keine Verwendung in Deutschland. Sie werden entweder gespart – was angesichts der alternden Bevölkerung sinnvoll ist – oder im Ausland investiert. Doch die Bundesregierung kann sehr wohl handeln: Sie kann dafür sorgen, dass die Verbraucher mehr Geld zum Konsum in der Tasche haben, sie kann selbst mehr investieren und sie kann vor allem dafür sorgen, dass es Unternehmen als lohnend ansehen, in Deutschland zu investieren. Staatliche Programme etwa zur Verbesserung der Infrastruktur mögen schön und gut sein, doch viel nachhaltiger und wichtiger sind private Investitionen.

Schon bei der Frage der Steuersenkung für die privaten Haushalte liegen Rote und Schwarze trotz der nachgewiesenen hohen Belastung deutscher Steuerzahler überkreuz. Doch wer substanziell etwas verbessern will, der muss weitergehen und die Unternehmenssteuern senken. Gutschriften für Unternehmen, die mehr forschen, Überprüfung der Bürokratie, bessere Abschreibungsmöglichkeiten: Das wären Maßnahmen, die wirklich helfen. Spätestens hier enden die Gemeinsamkeiten der großen Koalition. Es wäre ein Thema, über das es sich zu streiten lohnt.