StZ-Exklusiv Der Zeitplan für die Einführung einer Finanzsteuer auf Kapitalgeschäfte ist wohl nicht mehr zu halten. Deutsche Banken bezweifeln, dass die Abgabe überhaupt noch kommt.

Stuttgart - Die angekündigte Finanztransaktionssteuer auf Börsen- und Kapitalmarktgeschäfte wird so schnell nicht eingeführt. „Die Gespräche in Brüssel kommen nicht voran“, hieß es in deutschen Bankenkreisen, was auch in diplomatischen Zirkeln und der Politik nicht länger dementiert wird. „Dass die Verhandlungen nur extrem langsam vorankommen, lässt sich nicht bestreiten“, sagte am Montag ein EU-Diplomat in Brüssel. Ein Beamter, der für Belgien an den Verhandlungen beteiligt ist, sagte der Stuttgarter Zeitung: „Es wäre zwar voreilig die Finanztransaktionssteuer für tot zu erklären, aber im Augenblick gibt es mehr Fragen als Antworten.“

 

Der Zeitplan ist nicht mehr zu halten

Weil die Abgrenzungsprobleme größer sind als erwartet und die EU-Staaten unterschiedliche Vorstellungen haben, ist der vorgesehene Zeitplan nicht mehr zu halten. Ursprünglich hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Steuer zum Jahresbeginn 2014 in elf EU-Staaten einführen. Jetzt räumte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein, dass es später wird. „Es wird eher noch länger dauern“, sagte Schäuble dem „Badischen Tagblatt“. Grund sei, dass die Steuer technisch sehr anspruchsvoll sei und nicht jeder EU-Staat unter der Transaktionssteuer dasselbe verstehe. In deutschen Bankenkreisen werden sogar Zweifel laut, ob die Steuer jemals in Kraft tritt. „Es wird allenfalls eine minimale Besteuerung geben“, sagte ein hochrangiger Vertreter der Stuttgarter Zeitung. In der EU-Kommission wird dagegen darauf beharrt, dass „eine Einführung zur Jahresmitte 2014 immer noch möglich ist“. Allerdings, so eine Kommissionsmitarbeiterin, müssten die Mitgliedstaaten dafür mehr Kompromissbereitschaft zeigen.

Nachdem eine Transaktionssteuer im großen Kreis aller damals 27 EU-Staaten im Sommer vergangenen Jahres gescheitert war, beraten elf Mitgliedstaaten seit Februar den Gesetzentwurf der Brüsseler Behörde, der die Steuer nur in diesen Ländern einführen würde. Im EU-Jargon firmiert das unter dem Titel einer „verstärkten Zusammenarbeit“, der jedoch auch die übrigen Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Die Debatte läuft noch auf Sachbearbeiterebene, gleichwohl sind dort von verschiedene Ländern bereits diverse Probleme angesprochen worden, die sie mit dem Gesetzentwurf haben.

Italien etwa, wo erstmals überhaupt am Montag eine Abgabe auf Derivate und Geschäfte im computergesteuerten Hochfrequenzhandel erhoben wurde, dringt darauf, dass sein Modell in Brüssel übernommen wird. Frankreich beispielsweise will seinem abgespeckten Modell, das nach britischem Vorbild nur Aktiengeschäfte mit 0,2 Prozent besteuert, Geltung verschaffen.

Schwierigkeiten bereitet den elf europäischen Regierungen, die sich zur Finanztransaktionssteuer bekennen, vor allem die Festlegung, welche Kapitalmarktgeschäfte besteuert werden sollen. Zuletzt sind immer mehr Geschäfte genannt worden, die ausgenommen werden sollten, um unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden. Griechenland und Spanien etwa wollen verhindern, dass die Steuer ihre Staatsanleihen noch weiter verteuert. Deutschland und Frankreich haben unter anderem vorgebracht, dass die Rentenversicherer nicht belastet werden dürfen. Unbeantwortet ist nach Auskunft des belgischen Diplomaten die Frage, ob Transaktionen innerhalb eines Konzerns auch von der neuen Steuer erfasst werden sollen.

Auch in der schwarz-gelben Koalition gibt es Zweifel

Auf Druck der FDP will die Bundesregierung nur einer Steuer zustimmen, die Guthaben der Kleinsparer und die gewerbliche Wirtschaft nicht belastet. Im Laufe der Verhandlungen kamen weitere Ausnahmen hinzu. „Die deutsche Position zur Transaktionssteuer hat sich sehr verhärtet“, sagt der Vertreter Belgiens dazu. Die Bankenverbände in Deutschland pochen etwa darauf, dass die Liquiditätsversorgung der Geldhäuser nicht gefährdet werden dürfe. Bundesbank-Chef Jens Weidmann warnte kürzlich davor, den Interbankenmarkt zu beeinträchtigen. Dort versorgen sich die Institute untereinander mit Geld.

EU-Kommissar Algirdas Semeta hat unlängst als Kompromisslinie ins Gespräch gebracht, manche Geschäfte anfangs mit einem geringeren Satz zu belegen – generelle Ausnahmen sieht er kritisch. Ein noch viel größeres Problem bereitet ihm jedoch möglicherweise der Kern seines Vorschlags, gegen den die Briten bereits gerichtlich zu Felde ziehen: Das sogenannte Ansässigkeitsprinzip sieht vor, dass die Steuer auf jedes Papier anfällt, das in einem der elf Teilnehmerstaaten ausgegeben wurde. Eine Aktie eines deutschen Unternehmens würde also auch bei einem Verkauf von Hongkong nach Japan besteuert und müsste von dort an Deutschland überwiesen werden. „Es ist völlig unklar, wie dieses Geld von Drittstaaten eingesammelt werden soll – speziell wenn es sich um unkooperative Steueroasen wie die Cayman Islands handelt“, so ein Diplomat.

Auch in der schwarz-gelben Koalition gibt es daher Zweifel. „Die Finanztransaktionssteuer war von Anfang an ein abstraktes Thema – in der Umsetzung ist die Steuer ein Graus“, sagte der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing. Die Liberalen standen dem Vorhaben immer skeptisch gegenüber, gaben aber der Forderung der Opposition in den Verhandlungen über den europäischen Fiskalpakt nach. Wissing sieht seine Bedenken nun bestätigt: „Kein Mensch weiß, wie die Steuer sinnvoll ausgestaltet werden kann.“ Bedenken gegen einzelne Regelungen hat auch SPD-Finanzminister Nils Schmid angemeldet. Er sagte, die Steuer sei richtig. Über Einzelheiten müsse aber noch gesprochen werden.

Aus informierten Kreisen war zu erfahren, dass es wegen der zahlreichen Ausnahmen fraglich sei, ob die Steuer überhaupt erhoben wird. Wenn viele Bereiche ausgenommen werden, schrumpft das Aufkommen. Die EU-Kommission hatte zuletzt damit gerechnet, dass die Steuer 35 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen soll. Ob dieser Wert wegen der zahlreichen Ausnahmen erreicht wird, ist fraglich. Alternativ höhere Sätze zu verlangen, erscheint derzeit eher unwahrscheinlich. Offiziell hält die Bundesregierung an der Steuer fest. Finanzminister Schäuble hat zwei Milliarden Euro aus der Finanzsteuer für 2015 eingeplant.