Vor 150 Jahren wurde die Korsettfabrik S. Lindauer gegründet. Das Unternehmen aus der Neckarvorstadt leistete einen wichtigen Beitrag zur textilen Befreiung der Frau. Heutzutage existiert allerdings nur noch der Markenname Prima Donna.

Bad Cannstatt - Die Befreiung der Frau begann in Bad Cannstatt. Zumindest die textile Befreiung. Vor 150 Jahren wurde in der Neckarvorstadt eine Firma gegründet, die das körperliche Wohlbefinden von Frauen auf aller Welt spürbar verbessern sollte. Die Korsetts und Miederwaren der am 8. April 1865 gegründeten Firma S. Lindauer wurden bis nach Russland, in die USA und Australien exportiert, 400 Mitarbeiter hatte das an der Hallstraße ansässige Unternehmen in seinen Spitzenzeiten. Erst vor kurzem dokumentierte eine Ausstellung im Stadtmuseum Bad Cannstatt die wechselvolle Geschichte der Korsettfabriken, von denen es im Raum Stuttgart mehrere gab.

 

Der erste industriell in Serie angefertigte BH

Der große Wurf gelang dem Cannstatter Unternehmen Anfang des 20. Jahrhunderts, als Julius Lindauer, einer der Söhne des Firmengründers Salomon Lindauer, aus Paris nach Cannstatt zurückkehrte. Im Gepäck hatte er die Idee, einen Büstenhalter zu machen, den Frauen auch auf der Haut tragen können. Auch wenn zur gleichen Zeit, ab etwa 1890, an verschiedene Orten auf der Welt an einer solchen stützenden, aber leichten Miederware getüftelt wurde, die Frauen nicht die Luft abschnürte, und somit Lindauer wohl nicht als alleiniger Erfinder des Büstenhalters gelten kann – sicher ist, dass die Firma Lindauer den ersten industriell in Serie angefertigten BH fortschrittlich bewarb: Preisausschreiben, aufreizende Werbung, prägnante Slogans und dazu gute Qualität machten das gute Stück aus.

Siegmund Lindauer, der älteste Sohn des Firmeninhabers, war ein guter Werber. Er schaltete in unterschiedlichsten Zeitschriften Anzeigen – sogar in der „Lüderitzbuchter Zeitung“, die in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, erschien. Der 1912 oder 1913 zum ersten Mal angefertigte BH aus Bad Cannstatt namens Hautana wurde damals gleichermaßen fast als Synonym für Büstenhalter benutzt.

Firma wurde während des Naziregimes umbenannt

Mit dem Beginn des Naziregimes hatte das Unternehmen schwer zu kämpfen. Die Lindauers, die übrigens zu den reichsten Bewohnern Württembergs gehörten, waren Juden. Das Unternehmen wurde nach dem Schwiegersohn Wilhelm Meyer-Ilschen umbenannt und konnte so der Enteignung entgehen. Hautana, das bekannteste Produkt des Unternehmens, wurde nach dem Krieg jedoch nicht mehr aufgelegt.

Stattdessen wurde fortan der Markenname Prima Donna verwendet, der schon von jeher für Korsettserien aus Bad Cannstatt stand. Erst zum Januar 1990 wurde der Betrieb eingestellt. Die Erben hatten kein Interesse, die Firma weiter zu führen. Lingerie unter dem Namen Prima Donna gibt es allerdings weiterhin – die Markenrechte hat seitdem ein Hersteller in Belgien.