Entlang der Jagst wird Kritik am Krisenmanagement der Behörden laut. Es habe zu lange gedauert, bis klar war, was zu tun sei, heißt es. Dadurch sei die Rettung der Fische zu spät angelaufen. Die Minister Untersteller und Bonde schauten sich die Misere am Freitag an.

Krautheim - Unaufhaltsam wälzt sich die Giftfahne in der Jagst Richtung Neckar. Das nach Löscharbeiten in Kirchberg (Kreis Schwäbisch Hall) mit Ammoniumnitrat verseuchte Wasser hat inzwischen den Hohenlohekreis erreicht und wird am Sonntag in Schöntal im Kreis Heilbronn erwartet. Am Freitag haben sich die Landesminister Franz Untersteller (Umwelt) und Alexander Bonde (Naturschutz), beide Grüne, in Krautheim ein Bild von der Lage gemacht. Die Landesregierung will als Reaktion auf die Umweltkatastrophe im Land Lagerhallen mit gefährlichen Stoffen entlang von Flüssen überprüfen. Zudem müsse geprüft werden, ob das geltende Recht ausreiche, erklärte Untersteller.

 

Entlang des Flusslaufs versuchen Technisches Hilfswerk, Feuerwehren, Fischer und Freiwillige weiter, das Ausmaß des Schadens einzudämmen. Dem Fluss wird Sauerstoff zugeführt und Frischwasser aus Hochwasserrückhaltebecken, um den Ammoniumgehalt zu verdünnen. Seit Dienstag sind auch Markus Hannemann, Fischereikreisvorsitzender und Sprecher der Fischhegegemeinschaft Jagst, und seine Kollegen praktisch rund um die Uhr im Einsatz: „Wir versuchen so viele Fische wie möglich umzusetzen“, erklärt er. Mittels elektrischer Befischung werden die Fische kurzzeitig betäubt, eingefangen und in unbelastetem Gewässer eingesetzt. Koordiniert werden die Maßnahmen im Hohenlohekreis vom Lagezentrum in Mulfingen.

Fehlendes Krisenmanagement

Ein funktionierendes Krisenmanagement wie hier habe zu Beginn des verheerenden Fischsterbens im Kreis Hall gefehlt, erhebt Michael Pfeiffer, Diplom-Biologe und vom Regierungspräsidium Stuttgart entsandter Experte, schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen. „In Schwäbisch Hall hat ein Krisenstab getagt und die Leute vor Ort wussten nicht, was sie tun sollten“, sagt Pfeiffer. Er bestätigt damit die Kritik, die Betroffene am Dienstag geäußert hatten. Erst nach verzweifelten Hilferufen etwa von Seiten der Betreiber der Mosesmühle in Bächlingen seien Feuerwehren aktiv geworden, das belastete Wasser auf Felder auszubringen sowie den Fluss mit Frischwasser zu verdünnen. „Offenbar gab es vor Ort niemanden, der die Situation einschätzen konnte“, kritisiert Pfeiffer, „stattdessen wurde ein ganzer Tag verplempert.“ Man hätte bereits am Montag, als das Ausmaß der ökologischen Katastrophe sichtbar wurde, so viele Fische und Flusslebewesen wie möglich retten müssen. Pfeiffer bekräftigt: „Das Ergebnis – 100 Prozent tote Fische im Kreis Hall – spricht für sich.“

Thomas Friese, ehrenamtlicher Fischereiaufseher für den Kreis Hall, ist mit dem Krisenmanagement ebenfalls unzufrieden: „Ich wurde erst am Montag und dann auch von der Polizei, nicht vom Landratsamt informiert.“ Mit den Maßnahmen sei viel zu spät begonnen worden, sagt auch Fischereivorsitzender Hannemann: „Ich habe überall angerufen, aber wir haben einfach keine Werte bekommen, wo die Giftwelle steckt.“ Erregt schildert Landwirt Martin Bauer aus Großforst, wie viele Telefonate er geführt hat: „Erst als die Medien in Bächlingen waren, sind die Verantwortlichen aufgetaucht.“ Zweifel am Krisenmanagement hat offenbar auch die SPD-Fraktion im Haller Kreistag. Für seine Partei fordert der Haller OB Hermann-Josef Pelgrim von Landrat Gerhard Bauer eine „lückenlose Aufklärung und einen Ursachenbericht“.

43 Stunden Gefahr

Die Länge der Fahne mit für Fische giftigem Düngemittel wird derzeit auf 17 Kilometer geschätzt, die für Fische tödliche Konzentration hält an einem Ort jeweils bis zu 43 Stunden an. Wie viele Fische im Hohenlohekreis bereits verendet sind, kann noch nicht abgeschätzt werden, ebenso wenig die Anzahl der geretteten und umgesiedelten Fische. Unterhalb der Brandstelle in Kirchberg-Lobenhausen sammeln Nabu-Vorsitzender Bruno Fischer und seine Kollegen „mit toller Unterstützung vieler Freiwilliger“ derzeit im dritten Durchgang verweste, stinkende Fische ein.

Auf die Giftwelle, die seit Montag die Jagst von Kirchberg an praktisch abgetötet hat, bereitet man sich im Landkreis Heilbronn vor. Pläne, eine Leitung zwischen Jagst und Kocher zu verlegen, um Frischwasser zuzuführen, mussten verworfen werden. „Im Kocher herrscht Krebspest, die der amerikanische Signalkrebs eingeschleppt hat“, sagt Behördensprecher Manfred Körner, „wir dürfen diesen Schaden nicht in die Jagst verlagern.“ Im Kreis setze man mit Hochdruck auf die Zuführung von Sauerstoff und auf die Errichtung von Rettungsinseln in Seitenarmen der Jagst. Hinter jedem Wehr würden geschützte Bereiche geschaffen, in denen die Fische überleben könnten.

Schadstoffe verdünnen

Für den Mündungsbereich hat das Umweltressort laut Untersteller Maßnahmen konzipiert, um die Schadstofffahne weiter zu verdünnen und so die Konzentration des Giftstoffes möglichst unterhalb des kritischen Wertes zu bringen. Hierzu werden bereits die flussaufwärts liegenden Staustufen höher gestaut. Das zusätzliche Wasservolumen wird abgelassen, wenn die Schadstoffwelle im Neckar ankommt.