Nach einigen Mühen absolviert das fliegende Stratosphärenteleskop Sofia aus Stuttgart nun ein intensives Arbeitsprogramm – und erkundet dabei bisher unbekannte Welten.

Stuttgart - Alfred Krabbe ist hell begeistert: „Das hat noch niemand gesehen!“ Dabei zeigt der Astronom und Leiter des deutschen Sofia-Instituts auf den Bildschirm vor ihm. Dort spiegeln Grafiken, rote und grüne Flecke sowie viele Zahlen augenfällig die große Datenflut an, die das große Spiegelteleskop liefert, das im hinteren Teil des Flugzeugrumpfes untergebracht ist. Krabbes ganze Aufmerksamkeit gehört den bisher unbekannten Signalen aus dem Infrarotbereich, die aus dem Sternbild des Orion das fliegende Stratosphärenteleskop Sofia erreichen, das in einem umgebauten Jumbojet 747 SP über den USA einen nächtlichen Forschungsflug absolviert.

 

Um 21.18 Uhr Ortszeit war der Flieger von der kalifornischen Stadt Palmdale aus gestartet, einem bekannten Standort der US-Weltraumbehörde Nasa. Schon bald kam die Anfrage der Missionsleitung an die Piloten: „Können wir das Teleskop ausfahren?“ Die raten nach einem prüfenden Blick in die Dunkelheit noch zum Abwarten: Eine dünne Wolkenschicht könnte das Teleskop mit zu viel Feuchtigkeit belasten. Als dann wenig später das drei auf vier Meter große Tor hochgefahren wird, hinter dem sich das Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 2,7 Meter im hinteren Teil des Jumbos verbirgt, ist an Bord nichts zu spüren: Die durch den offenen Rumpf entstehenden Luftwirbel bereiten weder dem Teleskop noch dem Flugzeug größere Probleme.

Die aber hat dann umgehend Oliver Zeile, der bei diesem Flug für die Technik rund um das Teleskop zuständig ist. Das bleibt nämlich dunkel – es liefert keine Daten. Intensiv sucht Zeile nach dem Fehler, geht die Checklisten durch, berät sich über Satellitentelefon mit Fachkollegen am Boden. Nach endlos erscheinenden Minuten ist der Fehler – ein Netzwerkproblem – eingekreist und kann auch umgehend behoben werden. Oliver Zeile ist erleichtert, ging doch trotz der Verzögerung keine wertvolle Beobachtungszeit für die Wissenschaftler verloren. Angesichts der 50.000 bis 70.000 Euro, die eine Sofia-Beobachtungsstunde kostet, ist leicht nachzuvollziehen, dass bei jedem Flug eine kompetente Technikmannschaft mit an Bord ist.

Zickzackflug über die USA Richtung Milchstraße

Nun aber steht dem etwa achtstündigen Forschungsflug mit vielen astronomischen Glanzpunkten nichts mehr entgegen. Dabei absolviert der Jumbo zeitweise einen richtigen Zickzackflug über dem Westen der USA und fliegt dann etwa entlang der kanadischen Grenze und der Pazifikküste wieder zurück nach Palmdale. Dabei stehen unterschiedlich lange Beobachtungszeiten für die verschiedenen Projekte zur Verfügung, die in einem wissenschaftlichen Wettbewerb ausgewählt wurden. Ziele bei diesem Flug waren die Andromedagalaxie (M31), die Walgalaxie (NGC4631-1), das Interstellare Medium der Milchstraße, das Sternentstehungsgebiet M42 im Orionnebel und am Ende des Fluges der Mars.

Während der Beobachtungszeit werden die Photonen, die der Teleskopspiegel auffängt, an ein Spektrometer weitergeleitet, das auf der anderen Seite der Teleskopachse im Innern des Flugzeugs angeschraubt ist. FIFI-LS heißt es, was für abbildendes Ferninfrarot-Linien-Spektrometer (Field-imaging Far-infrared Line Spectrometer) steht. Wie es funktioniert, beschreibt Krabbe so: „Es ist eines der wenigen astronomischen Instrumente, das ähnlich wie das menschliche Auge funktioniert und Konturen eines Objektes gleichzeitig in seinen verschiedenen Farben wahrnehmen kann.“

Ab 1997 wurde FIFI-LS über viele Jahre hinweg am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching entwickelt. 2011 übernahm dann das Institut für Raumfahrtsysteme der Uni Stuttgart die weiteren Arbeiten, bis das Instrument 2013 erstmals bei Sofia mitflog. Seit 2012 ist Alfred Krabbe für das Gerät verantwortlich und damit auch für dessen Zulassung im Rahmen des Sofia-Projekts. Die Zertifizierung ist nun abgeschlossen – und auch der amerikanische Chef des Sofia-Projekts, Eddie Zavala, ist voll des Lobes über die Fähigkeiten des Instruments und bescheinigt FIFI-LS eine „exzellente Perspektive“.

Bahnbrechende Forschungsergebnisse

Im kommenden Beobachtungszyklus soll das Instrument intensiv eingesetzt werden – zusammen mit den anderen Detektoren, die Sofia tiefe Einblicke in neue, bisher unbekannte Welten ermöglichen. Nach der langen technischen Entwicklungszeit, der tief greifenden Renovierung des Fliegers im Jahre 2014 sowie den mehrfachen, teilweise heftigen Turbulenzen um die Finanzierung des Projekts (siehe die StZ-Berichte hier und hier) sehen die Wissenschaftler nun endlich die Chance gekommen, in Ruhe die Ernte ihrer langjährigen Mühen einfahren zu können. Schon bisher wurden mit Hilfe von Sofia teils bahnbrechende Forschungsergebnisse erzielt, etwa über das Alter von Sternentstehungsgebieten, über Kometen sowie über Supernovae, aber auch über nähere Himmelskörper wie etwa die Atmosphäre von Pluto (siehe Artikel auf Seite 3).

Auch auf diesem Flug stoßen Alfred Krabbe und seine Kollegen dank der Daten aus dem Infrarotbereich immer wieder auf neue, bisher unbekannte Phänomene. Mit normalen Teleskopen sind manche Strukturen eben nicht zu sehen, weil sie von undurchsichtigem interstellarem Staub verdeckt sind. So könnten sich beispielsweise bei einer späteren genauen Analyse manche Daten aus dem Infrarotbereich als Hinweise auf bisher unbekannte Gasströme interpretieren lassen. Am Ende des Fluges ist Alfred Krabbe jedenfalls hochzufrieden: „Wir haben heute 105 Prozent erreicht.“

Fliegendes Observatorium

Sofia
Das Stratosphären-Observatorium für Infrarotastronomie, kurz Sofia, wird zu 80 Prozent von der US-Weltraumbehörde Nasa und zu 20 Prozent vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam betrieben. Das an der Universität Stuttgart angesiedelte Deutsche Sofia Institut (DSI), koordiniert die wissenschaftlichen Arbeiten auf deutscher Seite. Die fliegende Sternwarte und die damit verbundene ingenieurmäßigen und wissenschaftlichen Arbeiten sind das größte Projekt der Uni Stuttgart.

Flugzeug
Das Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 2,7 Metern ist im hinteren Teil einer Boeing 747 SP installiert. Der Jumbo fliegt in 13 bis 14 Kilometern Höhe am unteren Rande der Stratosphäre. Dort ist kaum noch Wasserdampf vorhanden, der in den darunter liegenden Luftschichten die Infrarotstrahlung aus dem All praktisch völlig absorbiert.

Forschung
Die deutsche Seite stellt als wichtigsten Beitrag das Teleskop zur Verfügung. Darüber hinaus wurden auch wichtige Instrumente zur Analyse der von den Sternen kommenden Strahlen in Deutschland gebaut. Wichtigste Ziel von Sofia ist – neben Beobachtungen im sichtbaren Bereich – die Analyse der bisher unbekannten Infrarotstrahlung aus verschiedenen Sternsystemen.

Bildung
Sofia soll Neben dem Forschungsauftrag einen Beitrag zur Bildung leisten. Daher bietet das Projekt deutschen Lehrern als Multiplikatoren die Chance, bei Forschungsflügen dabei zu sein.

Flüge in den Schatten

Zum richtigen Zeitpunkt im Zentrum des Schattens: das war die Aufgabe, die das Stratosphären-Teleskop Sofia in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni diesen Jahres mit Bravour gemeistert hat. Ein ferner Stern wurde kurzzeitig vom Zwergplaneten Pluto bedeckt. Der Schatten raste allerdings nur in einem sehr schmalen Streifen mit mehr als 85.000 Kilometer pro Stunde über die Südhalbkugel. Noch auf dem Weg dahin erhielten die Wissenschaftler die neuesten Informationen über die Flugbahn des Schattens. Sie korrigierten daraufhin zwei Stunden vor dem Ereignis ihren Kurs um 232 Kilometer nach Norden und flogen genau in die Mittellinie des Schattens – was die äußerst seltene Beobachtung eines zentralen Aufblinkens, eines „central flash“, ermöglichte. Dabei wird das Licht des verdeckten Sterns durch die Atmosphäre des verdeckenden Himmelskörpers – also durch Pluto – so abgelenkt, dass dieser kurzzeitig aufleuchtet. Somit erstrahlt die gesamte Pluto-Atmosphäre in einem hellen Licht.

Dieses Aufblinken erlaubt Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Atmosphäre des Zwergplaneten – zusammen mit den Lichtschwankungen, die sich beim Eintritt sowie später beim Austritt des verdeckten Sterns aus der Plutoatmosphäre ergeben. Diese Informationen waren eine wichtige Ergänzungen zu den Daten, die nur 14 Tage später die an dem Zwergplaneten vorbei fliegende Sonde New Horizons lieferte. Nach 2011 war dies die zweite Pluto-Bedeckung, die an Bord von Sofia dokumentiert werden konnte, dieses Mal mit gleich drei verschiedenen Instrumenten, die sich ergänzende Informationen lieferten.

Für die Astronomen Jürgen Wolf und Karsten Schindler vom Deutschen Sofia Institut war dieses Ereignis Anlass, die fliegende Sternwarte im kommenden Jahr zu weiteren Bedeckungen zu dirigieren. Damit wollen sie bestimmte kleine Himmelskörper erforschen, die Trans-Neptunischen Objekte (TMO). Wenn diese – wie Pluto – kurzfristig einen fernen Stern verdecken und dieser Schatten über die Erde rast, dann könnte dies bisher unbekannte Information über das betreffende TMO liefern – eine Gelegenheit für neue Entdeckungen.