Nach einem fragwürdigen Strafverfahren und sieben Jahren in mexikanischer Haft ist die Französin Florence Cassez nach Paris zurückgekehrt. Die Nation feiert die 38-Jährige wie eine Heilige.

Paris - Florence Cassez, die ins Zwielicht geratene Geliebte eines mexikanischen Gangsterbosses? Das war einmal. Das ist sieben unendlich lange Jahre her. Die in Mexiko wegen mehrerer Entführungen und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande zunächst zu 96 Jahren und in zweiter Instanz zu 60 Jahren Haft verurteilte Französin hat es in der Heimat zur Märtyrerin gebracht, zur Madonna. Nach einem aberwitzigen Strafprozess und sieben Jahren hinter Gittern des Frauengefängnisses von Tepepan ist ihr späte Gerechtigkeit zuteil geworden. Mexikos Oberster Gerichtshof hat die Urteile wegen schwerer Verstöße gegen „elementare rechtsstaatliche Grundsätze“ aufgehoben und die Freilassung der Gefangenen angeordnet.

 

Am Donnerstag Nachmittag ist die 38-Jährige mit ihrem Vater Bernard in Paris eingetroffen, umjubelt von Angehörigen, Freunden, Mitgliedern eines Unterstützungskomitees. Blass, übernächtigt, das zerzauste rotblonde Haar zusammengebunden, Schatten unter den grünen Augen, winkt die Heimkehrerin an der Seite des zum Flugzeug geeilten französischen Außenministers Laurent Fabius in die Menge. Sie lächelt, strahlt, sagt im Blitzlichtgewitter, wie unfassbar glücklich sie sei.

Die Vergangenheit holt sie ein

Bis sie, ein paar Augenblicke später nur, von der Vergangenheit eingeholt wird, in Tränen ausbricht, den Blick abwendet. Als sie sich wieder gefasst hat, sagt sie: „Ich habe das Gefühl, noch nicht gelandet, im siebten Himmel zu sein.“ Vom Weltwirtschaftsforum in Davos hat Frankreichs früherer Staatschef Nicolas Sarkozy ausrichten lassen, er sei „sehr, sehr glücklich“. Sarkozys Nachfolger François Hollande hat angekündigt, er werde die Heimkehrerin und ihre Eltern heute Abend im Elysée-Palast empfangen. Er danke allen, die sich dafür eingesetzt hätten, dass „Wahrheit und Gerechtigkeit den Sieg davongetragen haben“, ließ der Präsident vorab wissen. Seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler hatte Cassez‘ Mutter in Paris zuvor Mut zugesprochen. Sowohl Hollande als auch Sarkozy hatten sich in Mexiko für die Freilassung der Gefangenen eingesetzt.

Sie hat immer ihre Unschuld beteuert

Was immer Florence Cassez an der Seite des auf Entführungen spezialisierten Bandenchefs Israel Vallarta getan haben mag: Das Strafverfahren war eine Farce gewesen. Einen Tag nach der Festnahme der beiden bei einer Straßenkontrolle ließ die Polizei für das mexikanische Fernsehen die Befreiung verschleppter Landsleute und die Verhaftung der zwei angeblich auf frischer Tat ertappten Entführer nachstellen – eine Inszenierung, die dann als Grundlage der Anklage herhalten musste.

Florence Cassez, die 2003 ihrem in Mexiko arbeitenden Bruder gefolgt war, hatte stets ihre Unschuld beteuert. Sie sei lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Fest steht, dass sie sich im Oktober 2004 in den falschen Mann verliebt hat. Als Autohändler hatte Vallarta sich ihr vorgestellt. Auf einer südlich von Mexiko-Stadt gelegenen Ranch lebten die beiden fortan zusammen, die dem Kidnapper auch als Versteck entführter Kinder diente.

Und jetzt schreibt sie ein Buch

Kaum dem Albtraum womöglich lebenslanger Haft entronnen, war der Französin auch schon traumhafte Fürsorge zuteil geworden. Um den Fall ein- für allemal abzuschließen, der die mexikanisch-französischen Beziehungen belastet und 2011 zur Absage des in Frankreich geplanten „Mexikojahres“ geführt hatte, waren die Behörden des lateinamerikanischen Landes auf Nummer sicher gegangen. Im Konvoi ließen sie Cassez zum Flughafen bringen. Mehrere Polizeiwagen vor ihr, mehrere hinter ihr, sie selbst in schusssicherer Weste in einem mit Panzerglas ausgestatteten Fahrzeug in der Mitte – so ging es in Begleitung des Vaters und des französischen Generalkonsuls der Freiheit entgegen.

Jetzt will Florence Cassez ein Buch schreiben und alles erzählen, was ihr widerfahren ist. Von dem Zorn, der im Gefängnis immer wieder in ihr aufgestiegen sei, der sie letztlich am Leben erhalten habe, soll darin die Rede sein. Das hat sie noch auf dem Pariser Flughafen angekündigt.