Burkhart Veigel spricht im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium über seine Zeit als Fluchthelfer für DDR-Bürger.

Lokales: Sybille Neth (sne)

S-Nord - Wir tun was Tolles.“ Davon hat Burkhart Veigel die Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums überzeugt, obwohl das, was er zusammen mit seinen Freunden tat, schon Jahrzehnte zurückliegt. Während seines Vortrags über seine Aktivitäten als DDR-Fluchthelfer in den 60er und 70er Jahren war es so still in der voll besetzten Aula, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Vor so viel Courage haben die Schüler der oberen Klassen den Hut gezogen, auch wenn sie das System der DDR, die Mauer und den Schießbefehl an der Grenze nur aus dem Geschichtsunterricht kennen.

 

Mit dem Cadillac über die Grenze

Aber Veigel, der viele Jahre in Sillenbuch als Facharzt für Orthopäde niedergelassen war, ist ein glänzender Erzähler. Ernst und Anekdote. Politik und Menschliches verbindet er. Zum Beispiel die Sache mit seinem Cadillac. Weil der Schmuggel von Republikflüchtlingen im Auto häufig aufgeflogen ist, suchte er nach einer anderen Lösung. Veigel wollte ein Auto, das so geräumig ist, dass er einen Menschen hinter dem Armaturenbrett verstecken konnte. „Im Ruhrgebiet habe ich einen Cadillac gefunden.“ Der passte, und das Versteck hat der 1,87 Meter-Mann gleich im Selbstversuch ausprobiert und damit jahrelang Republikflüchtlinge über Rumänien, Bulgarien, die damalige Tschechoslowakei oder die Türkei aus der DDR geholt. „Aber nach sechs- bis achtmal ging das nicht mehr. Es wäre ja verdächtig gewesen, wenn immer dann, sobald dieser Wagen irgendwo aufgetaucht ist, jemand verschwunden ist.“ Deshalb tauschten er und seine Helfer aus der Fluchthelfergruppe „Reisebüro“ immer wieder die Kühlerhauben und spritzten den Wagen um.

Veigel ist noch immer emotional sehr berührt, wenn er aus diesen Zeiten erzählt. 650 Menschen ermöglichten seine Mitstreiter und er die Flucht. „Zorn wurde zu Courage“, sagt er. Und unbändiger Zorn ergriff ihn im August 1961, als er damals als 23jähriger Student an der Freien Universität im Westen Berlins aus dem Urlaub aus Griechenland zurückkehrte und feststellen musste, dass die Stadt durch die Mauer geteilt worden war, und dass ein Drittel seiner Kommilitonen nicht mehr weiterstudieren konnte, weil sie hinter der Mauer eingekerkert waren. „Was würden Sie machen, wenn sich nach den Ferien durch die Königstraße plötzlich eine Mauer ziehen würde?“ – so die Frage an die Jugendlichen.

650 Menschen aus der DDR geholt

Als er aufgefordert wurde, sich der Fluchthilfe-Gruppe anzuschließen, musste er nicht nachdenken. 650 Menschen hat er so aus der DDR geholt. Bis heute lässt ihn das Thema nicht los. Nachdem er seine Praxis an seinen Sohn weiter gegeben hatte, ist er 2007 nach Berlin umgezogen. „Dort leben die Zeitzeugen, dort sind die Archive“ – und die brauchte Veigel, um eine Geschichte der Fluchthilfe zu schreiben. „Wege durch die Mauer“ heißt sein neues Buch, und durch das Studium der Stasi-Akten ist Veigel erst heute mancher Ungereimheit von damals auf die Schliche gekommen. Trotz minuziöser Planung gab es Aktionen, die schief gegangen sind. „Dinge, die wir uns nicht erklären konnten.“ In den Akten fand er die Antwort. Die Staatssicherheit hatte im Westen ihre Leute in die Fluchthilfeorganisation eingeschleust, und die hatten der DDR-Volkspolizei die Pläne der Fluchthelfer verraten.

„Wir waren Idealisten“

„Wir waren Idealisten“, erklärte Veigel den beeindruckten Gymnasiasten, die ihn mit Fragen überhäuft haben: Zum Beispiel wie die DDR-Bürger überhaupt zu ihm gefunden haben, ob die Bundesregierung die Fluchthelfer unterstützt hat, woher diese das Geld für ihre Aktionen hatten oder wie er den Fall der Mauer erlebt habe. „Geheult habe ich – vor Freude“, sagte Veigel und ist noch zutiefst ergriffen. „Es gibt Menschen, die sehen ihre Flucht als ihren zweiten Geburtstag an. Erst kürzlich war ich beim 50. Geburtstag eines 80-jährigen eingeladen.“

Der ehemalige Ebelu-Schüler Veigel war nicht nur mit seinem neuen Buch im Gepäck gekommen, sondern hatte auch zwei seiner Schulkameraden mitgebracht, mit denen er sich zum anschließenden Klassentreffen des Abiturjahrgangs 1958 verabredet hatte. Der Geist des humanistischen Gymnasiums, das auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg besuchte, habe ihn geprägt, sagte er. „Auch wenn ich eine wenig ruhmreiche Vergangenheit am Ebelu hatte.“ Aber da musste sein Schulfreund Hanns-Albrecht Maute, der ihn begleitete, eingreifen: „Er war ein begnadeter Violinist und ein großer Sportler.“

Buch Burkhart Veigel, Wege durch die Mauer. Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West. Edition Berliner Unterwelten, 2011, 19,90 Euro. // Weitere Informationen im Internet unter www.fluchthilfe.de