Es werde eine traurige Reise sein, hatte Papst Franziskus schon vor seinem Besuch der Flüchtlingsinsel Lesbos prophezeit. Dennoch versuchte er dann, den mehr als 4000 Geflohenen Trost und Hoffnung zu spenden.

Lesbos - Als ihm der Papst die Hand schütteln will, fällt der Mann vor ihm auf die Knie. Schluchzend bittet er: „Vater, gib mir Deinen Segen!“ Lange legt Franziskus seine Hand auf den Kopf des vor ihm knieenden Mannes. Wenige Augenblicke darauf durchbricht eine weinende Frau die Sicherheitsabsperrungen. Sie fleht den Papst an: „Nimm mich mit!“

 

Viele Menschen brechen in Tränen aus, strecken dem Papst hilfesuchend ihre Hände entgegen. Kinder schenken ihm selbstgemalte Bilder. Es sind Zeichnungen traumatisierter Kinder. Sie erzählen von den Schrecken des Krieges und den Gefahren der Flucht. Es waren bewegende Momente und bedrückende Szenen, die sich am Wochenende beim Besuch des katholischen Oberhirten auf der griechischen Flüchtlingsinsel Lesbos abspielten. Gemeinsam mit zwei geistlichen Führern der orthodoxen Kirche, dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., und dem Athener Erzbischof und Oberhaupt der griechischen Kirche, Hieronymos II., war der Papst am Samstag auf die ostägäische Insel gekommen, die ein Brennpunkt der Flüchtlingskrise ist.

Gewaltige Herausforderung

Von den 851 319 Flüchtlingen und Migranten, die im vergangenen Jahr Griechenland erreichten, kamen 500 018 auf Lesbos an. Seit Beginn dieses Jahres kamen weitere 90 000 – eine gewaltige Herausforderung für die Insel und ihre rund 86 000 Einwohner. Gegenwärtig sind etwa 4100 Flüchtlinge und Migranten auf Lesbos. Die meisten von ihnen müssen damit rechnen, im Rahmen des Rückführungsabkommens, das die EU im März mit der Türkei schloss, wieder nach dort abgeschoben zu werden. Dennoch versuchte der Papst, den Menschen Mut zu machen: „Ihr seid nicht allein, Freunde, verliert die Hoffnung nicht!“

Im Flüchtlingslager Moria, wo etwa 3500 Menschen leben, wurden die Kirchenführer mit Rufen nach „Freiheit“ und selbstgemalten Pappschildern mit der Aufschrift „Hilfe“ empfangen. Der Papst erinnerte daran, dass die Geschichte Europas „vom Geist der Brüderlichkeit, der Solidarität und des Respekts vor der Menschenwürde geprägt“ sei – eine deutliche Kritik an jenen EU-Staaten, die ihre Grenzen für die Flüchtlinge geschlossen haben.

Auch der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, der den Papst auf dem Flughafen der Inselhauptstadt Mytilini begrüßte, kritisierte „gewisse europäische Partner, die im Namen des christlichen Europas Mauern errichtet haben“. „Es ist eine traurige Reise“, hatte der Papst bereits auf dem Flug von Rom nach Lesbos den mitreisenden Journalisten gesagt. „Wir treffen auf die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Er erwarte auf Lesbos „viele Menschen, die leiden, die nicht wissen, wohin, die fliehen mussten.“ Die Reise führe auf einen „Friedhof im Meer“, sagte Franziskus – und meinte damit die vielen, meist namenlosen Gräber auf der Insel, in denen Männer, Frauen und Kinder bestattet sind, die bei der Flucht über die Ägäis ertrunken sind. Nach Schätzungen haben im vergangenen Jahr fast 3800 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer ihr Leben verloren. In diesem Jahr wurden bisher weitere 375 Ertrunkene geborgen. Ende Januar ertranken an einem einzigen Tag bei drei Bootsunglücken in der Ägäis 45 Menschen.

Zeremonie am Hafen

Die drei Kirchenführer gedachten der Opfer in einer Zeremonie am Hafen der Inselhauptstadt Mytilini. Sie beteten gemeinsam. Zum Andenken an die Opfer warfen die Geistlichen drei Kränze ins Hafenbecken. „Mögen wir sie nie vergessen und ihr Opfer nicht nur mit Worten, sondern mit Taten ehren“, betete der Papst. Der bevorstehende Besuch der Kirchenführer und des Ministerpräsidenten hatte auf der Insel an den Vortagen hektische Aktivitäten der Behörden ausgelöst. Die Straßen der Inselhauptstadt Mytilini wurden gekehrt und mit Wasser abgespritzt, Grünanlagen frisch hergerichtet, Fassaden gestrichen. Griechische Medien berichteten von der „Operation Besen“: Die Regierung in Athen habe angeordnet, möglichst alle Flüchtlinge, die bis dahin auf Plätzen und in Parks campierten, aus dem Stadtbild verschwinden zu lassen.

Das stieß auf Kritik des Inselbürgermeisters Spiros Galinos. Man dürfe wegen des Papst-Besuchs die Probleme der Insel nicht unter den Teppich kehren. „Wir sollten die Wahrheit zeigen“, forderte Galinos im Fernsehsender „Skai TV“. Mehrere Hundertschaften Polizisten wurden aus Athen auf die Insel gebracht, um den Hafen und die Straßen zu sichern, über die der Papst fahren würde. Auch zahlreiche Sicherheitsbeamte des Vatikan waren seit Tagen auf Lesbos unterwegs, um den Besuch vorzubereiten. An den erbärmlichen Verhältnissen in den überfüllten Flüchtlingsunterkünften konnte man allerdings so schnell nichts ändern. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen bezeichnen die Zustände als „unzumutbar“ und kritisieren das Lager Moria als „Gefängnis“.

Nach einem Rundgang durch das Lager kamen die drei Kirchenführer mit Flüchtlingsfamilien zu einem einfachen Mittagessen zusammen. In einer gemeinsamen Erklärung der drei Geistlichen heißt es: „Die Tragödie erzwungener Migration und Vertreibung . . . ist eine humanitäre Krise, die nach Solidarität, Barmherzigkeit, Großzügigkeit und sofortiger Hilfe ruft.“ Der Papst beließ es nicht bei Appellen. Überraschend nahm er drei Flüchtlingsfamilien auf dem Rückflug mit nach Rom. Die zwölf Syrer, unter ihnen sechs Kinder, sollen Aufnahme in Italien finden. Die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio werde sich um ihre Ansiedlung kümmern, sagte ein Sprecher des Vatikans.