In einer spontanen Aktion nimmt Deutschland zahlreiche Flüchtlinge aus Ungarn auf. Doch damit zieht sich Kanzlerin Merkel den Ärger der Schwesterpartei CSU zu. Denn dort kommt diese Politik nicht gut an.

Berlin - Unmittelbar vor einem Spitzentreffen zur Asylpolitik haben scharfe Angriffe der CSU auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für Verstimmung in der großen Koalition gesorgt. Angesichts der vom Bund erteilten Einreiseerlaubnis für Flüchtlinge aus Ungarn forderte CSU-Chef Horst Seehofer eine klare Position Merkels zur Verteilung Asylsuchender in der EU. „Wir können nicht als Bundesrepublik auf Dauer, bei 28 Mitgliedsstaaten, beinahe sämtliche Flüchtlinge aufnehmen“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Sonntag in Rott am Inn. „Das hält auf Dauer keine Gesellschaft aus.“

 

Beim Koalitionstreffen am Sonntagabend im Kanzleramt sollte unter anderem geklärt werden, wie viel Geld der Bund Ländern und Kommunen für die Flüchtlingshilfe zusätzlich zur Verfügung stellen will. Haushälter von Union und SPD bezifferten den Spielraum auf bis zu fünf Milliarden Euro, ohne den ausgeglichenen Haushalt zu gefährden. Die Regierung wollte nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) ein Programm auf den Weg bringen, das allen Flüchtlingen in Deutschland vor Einbruch des Winters ein festes Dach über dem Kopf garantieren soll. Endgültige Entscheidungen dürften am 24. September bei einem Bund-Länder-Gipfel fallen.

Merkel pocht auf Haushaltsdisziplin

Die Gesamtkosten für die Betreuung der Flüchtlinge belaufen sich nach Recherchen der Sonntagszeitung auf rund zehn Milliarden Euro in diesem Jahr. Merkel pocht dennoch auf Haushaltsdisziplin: „Wir können nicht einfach sagen: Weil wir eine schwere Aufgabe haben, spielt jetzt der ausgeglichene Haushalt oder die Frage der Verschuldung überhaupt keine Rolle mehr“, sagte die Kanzlerin am Samstag.

Die Aufnahme der in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge in Deutschland wurde im CSU-Parteipräsidium einmütig als „falsche Entscheidung“ gerügt, wie Generalsekretär Andreas Scheuer am Samstagabend der „Bild am Sonntag“ sagte. Mehrere Präsidiumsmitglieder hätten vor einer „zusätzlichen Sog-Wirkung“ gewarnt. Seehofer kündigte intensive Gespräche mit Merkel beim Koalitionsgipfel an. Konkret forderte er deutlich schnellere Asylverfahren für Menschen ohne Bleibeperspektive. Seehofer warnte vor einem Stimmungsumschwung in punkto Willkommenskultur.

Von der Leyen verteidigt Merkel

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Ursula von der Leyen verteidigte Merkels Entscheidung. „Die Bundeskanzlerin agiert besonnen und tut das Notwendige, um zu verhindern, dass sich an unseren Grenzen humanitäre Dramen entwickeln“, sagte sie der „Bild“-Zeitung. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann stützte diese Position: „In einer so außergewöhnlich dramatischen Situation ist es absolut richtig, den Menschen erst einmal Zuflucht zu gewähren. Deutschland muss die Werte verteidigen, die Europa so lebenswert machen.“

Beim Koalitionstreffen sollte nach „FAS“-Informationen in einem Sofortprogramm fixiert werden, dass der Bund leerstehende Kasernen und Polizeigebäude für die Aufnahme von Flüchtlingen herrichtet. Ferner sollten neue Unterkünfte gebaut werden. Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) stellte Änderungen des Baurechts in Aussicht. „Ich will den Kommunen deutlich mehr Spielraum für die schnelle Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften eröffnen“, sagte sie der dpa. „Auch die Errichtung neuer Gebäude für Flüchtlinge könnte in bestimmten Fällen rechtlich erleichtert werden.“

Die Wirtschaft will Flüchtlingen mit Bleibeperspektive unbürokratisch Arbeit geben. „Wir sind bereit, allen Asylsuchenden mit berechtigten Chancen auf ein Bleiberecht den raschen und zeitlich gesicherten Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen zu ermöglichen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. Union und SPD sollten Weichen stellen, damit Asylverfahren „effektiver und für die Menschen erträglicher“ würden.