Eine SPD-Veranstaltung wird zum kleinen Flüchtlingsgipfel im Kreis. Dabei fordert der Landrat Bernhard von der Integrationsministerin Bilkay Öney mehr Geld für die Betreuung der Asylbewerber – etwa für Deutschunterricht

Böblingen - Seit einem Jahr lebt Mudhafar Saleh mit seiner Familie in Böblingen. „Die deutsche Sprache ist für uns das größte Problem, wenn wir uns hier integrieren möchten“, sagte der Iraker am Freitagabend bei einer Podiumsdiskussion mit der Integrationsministerin Bilkay Öney. Eine mehrere Jahre lange Flucht hat er hinter sich. Zunächst war er in Syrien untergekommen. Als dort der Krieg begann, zog die Familie weiter über die Türkei nach Deutschland. Einen Sprachkurs hat er besucht. „Doch wir haben zu wenig Kontakt zu Deutschen. Nur wenn wir viel sprechen, lernen wir die Sprache richtig“, sagte Mudhafar Saleh bei der Veranstaltung.

 

Eigentlich war es eine Mitgliederversammlung des Stadtverbands der Böblinger SPD. Florian Wahl, deren Vorsitzender und zudem Landtagsabgeordneter, sprach jedoch von einem „kleinen Flüchtlingsgipfel im Kreis“. Nicht nur, dass sich unter die Genossen jede Menge Zuhörer gemischt hatten, die haupt- oder ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung engagiert sind. Das Podium war ebenfalls mit Experten zum Thema Flüchtlingspolitik besetzt: Neben der Integrationsministerin, dem Landrat Roland Bernhard und dem irakischen Flüchtling Saleh saßen dort der Erste Bürgermeister der Stadt Böblingen, Ulrich Schwarz, und Hans-Konrad Peters, ein Helfer des Böblinger Arbeitskreises Asyl.

Wohnungen werden gesucht

Etwa 700 Flüchtlinge sind 2013 in den Kreis Böblingen gezogen. Für dieses Jahr rechnen die Behörden mit etwa 1000 Menschen aus den Krisengebieten. Die Menschen kommen zunächst in Sammelunterkünften unter. Sieben gibt es zurzeit im Kreis, weitere sind im Bau und in der Planung. Sobald sie das Asylverfahren abgeschlossen haben, spätestens aber nach zwei Jahren, ziehen die Flüchtlinge in eine eigene Wohnung. Doch Wohnungen zu finden sei nicht einfach, erklärte Hans-Konrad Peters vom Arbeitskreis Asyl. „Dabei garantieren wir dem Vermieter, dass der Kreis die Miete zahlt“, ergänzte der Landrat.

Geld ist ein großes Thema bei der Versorgung der Flüchtlinge, machte die Podiumsdiskussion deutlich. 12 566 Euro erhält jeder Landkreis momentan pro Flüchtling als Pauschale vom Land. Damit muss der Kreis für die gesamte Zeit der Unterbringung – die bis zu zwei Jahre dauern kann, alles bezahlen: die Unterbringung, Betreuung, Gesundheitsversorgung, Sprachförderung. Zwar wird die Pauschale jetzt auf 13 260 Euro erhöht. Doch das sei noch immer zu wenig, klagte der Landrat. Er kritisierte, dass es landesweit eine einheitliche Pauschale gebe, dabei sei beispielsweise die Miete in Städten viel höher als auf dem Land. Die Ministerin sagte, dass man darüber nachdenke, die Pauschalen anders zu berechnen. Aber dem Landrat fallen noch mehr Beispiele ein – etwa der Sprachunterricht, der seiner Meinung nach eines der wichtigsten Instrumente der Flüchtlingsförderung ist. „Dafür erhalten wir pro Person gerade einmal 91 Euro. Wir geben aber das Dreifache aus.“

Flüchtlinge dürfen arbeiten

Entlastung für die Kreise könnte allerdings die jetzt beschlossene Änderung beim Arbeitsrecht führen. Anders als in 1990er Jahren, als die Asylbewerber einem zumeist jahrelangen Arbeitsverbot unterlagen, sollen die Flüchtlinge nun nach wenigen Monaten arbeiten dürfen. Auch viele Unternehmen hätten Interesse an den zum Teil hoch qualifizierten Flüchtlingen, sagte Bilkay Öney. „Bei der Arbeitsagentur geht man davon aus, dass relativ schnell ein Drittel der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden kann. Zudem rechnet man damit, 8000 bis 9000 Jugendliche in die duale Berufsausbildung zu führen.“

Doch auch fürs Arbeiten sei vor allem die Sprachförderung wichtig, waren sich alle Podiumsteilnehmer einig. „Wir brauchen deutsche Paten, die die Flüchtlinge in Sprache und Kultur einführen“, sagte der Asylhelfer Hans-Konrad Peters. Dabei gehe es häufig um ganz einfache Dinge: „In welche Schule soll mein Kind gehen?“ oder „Wie funktioniert die Mülltrennung?“

Ministerin sieht große Hilfsbereitschaft im Land

Sindelfingen - Im Sindelfinger Stadtteil Maichingen haben im Mai hunderte Bürger gegen den Bau eines Flüchtlingsheims vor ihrer Haustüre demonstriert. Die Sindelfinger Stadtverwaltung zog nach heftigen Diskussionen die Pläne vorerst zurück. In Esslingen sorgte vor wenigen Tagen der dortige Landrat Heinz Einiger für Aufsehen, als er verkündete, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, der Kreis sei schon jetzt überlastete. Wie will die Landesregierung mit solchen Protesten umgehen? Hat sie sich doch die Bürgerbeteiligung als eines der wichtigsten Ziele auf die Fahne geschrieben. Dazu nahm die Ministerin vor der Podiumsdiskussion in einem Gespräch mit unserer Zeitung Stellung.

Bilkay Öney bleibt gelassen. „Wir müssen die Menschen aufklären und in unserer Entscheidungen miteinbeziehen“, sagt sie. Transparenz sei wichtig. Dazu gehöre auch zu erklären, „dass wir verpflichtet sind, die Flüchtlinge aufzunehmen“ – nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich. Nach einem Schlüssel werden die Asylsuchenden, die in Deutschland ankommen, auf die Bundesländer verteilt. 13 Prozent der Menschen kommen nach Baden-Württemberg, davon finden 3,6 Prozent im Kreis Böblingen eine Unterkunft.

Nicht zu vergleichen sei die momentane Situation mit der vor 20 Jahren, als ausländerfeindliche Anschläge in Mölln, Solingen und anderswo für Angst und Schrecken sorgten. 1993 kamen 440 000 Flüchtlinge nach Deutschland, 2014 rechnet Bilkay Öney mit 200 000. Damals sei Deutschland zudem mit dem schwierigen Einheitsprozess beschäftigt gewesen, der nun vollzogen sei. „Die Deutschen sind viel besser als ihr Ruf“, ist die Ministerin überzeugt und zitiert aus einer aktuellen Forsa-Umfrage. „Danach haben zwei Drittel der Befragten nichts dagegen, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Flüchtlingsunterkunft gebaut wird.“ Lediglich bei Ostdeutschen und AfD-Wählern sei die Ablehnung höher.

Zur Sindelfinger Situation kann Bilkay Öney nichts sagen, weil sie die Lage nach eigenen Angaben nicht kennt. „Man muss die Bürger einbeziehen“, betont sie und berichtet lieber von ermutigenden Aktionen im Land. In Meßstetten werde eine weitere Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge im Land eröffnet. Vor einer Bürgerversammlung dort habe sie Drohungen aus dem rechtsradikalen Umfeld erhalten. Mit einem mulmigen Gefühl sei sie nach Meßstetten gefahren. „Doch wir haben dort Zustimmung und eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung erlebt. Baden-Württemberg hat die ganze Republik überrascht“, lobt die Ministerin. In Heidelberg habe man kürzlich innerhalb von Stunden eine Notaufnahmestelle eingerichtet, als drei andere Bundesländer erklärt hatten, ihre Aufnahmekapazität sei erschöpft. „Nach zwei Stunden hatten wir 140 freiwillige Helfer vom Roten Kreuz vor Ort.“