In Baden-Württemberg sollen deutlich mehr Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge als bisher eingerichtet werden. Die Zahl soll mehr als verdoppelt werden.

Stuttgart - Mehr Aufnahmeplätze, eine Task-Force auf Landesebene und mehr Abschiebungen: Diese Maßnahmen werden seit dem Montagmittag bei einem Spitzentreffen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Stuttgart diskutiert. Hintergrund sind die rapide steigenden Flüchtlingszahlen in Baden-Württemberg und die Probleme, die es insbesondere bei der Unterbringung gibt. Bereits bekannt wurde, dass Baden-Württemberg die Zahl der Erstaufnahmeplätze für Flüchtlinge von 9000 auf rund 20 000 im Laufe des Jahres 2016 erhöht.

 

Zudem wolle die Landesregierung darauf hinarbeiten, dass bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien möglichst gar nicht erst in Landeserstaufnahmen (Lea) kommen, sondern umgehend in die Kommunen verteilt werden. Auf die Weise könnten die Einrichtungen entlastet werden, hieß es aus Regierungskreisen. Das Land kläre mit dem Bund ab, ob solche Schnellverfahren möglich sein können.

Als weitere Maßnahme will Grün-Rot von einer eigenen Gesetzesänderung zunächst Abstand nehmen. Die ursprünglich für Anfang 2016 beschlossene Regelung, nach der die Mindestwohnfläche für Flüchtlinge von 4,5 auf 7 Quadratmeter steigen soll, wird sehr wahrscheinlich für zwei Jahre ausgesetzt. Auch ist eine interministerielle Task Force für alle Fragen rund um das Flüchtlingsthema geplant.

30 Millionen Euro für neuen Wohnraum

Finanzminister Nils Schmid (SPD) will zudem in 2016 mindestens 30 Millionen Euro für ein Wohnraumprogramm zur Unterbringung von Flüchtlingen auflegen.

Zuvor hatten die Kommunen auf immense Probleme im Umgang mit Flüchtlingen hingewiesen und vor einem Kippen der Stimmung in der Bevölkerung gewarnt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte dazu der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montag): „Ich kann nicht erkennen, dass die Stimmung bei uns am Kippen ist.“ Jedenfalls nehme er in Baden-Württemberg keine generell fremdenfeindliche Stimmung wahr. „Das, was ich erlebe, sind Fälle, bei denen man mit den Bürgern reden muss, weil es Ängste und Probleme gibt.“ Aus dem Landtagswahlkampf werde man das Thema nicht heraushalten können. „Aber wir müssen verhindern, dass es populistisch diskutiert wird.“

Abgelehnte Asylbewerber sollen stärker zu einer freiwilligen Rückkehr bewegt werden. „Wir werden auch über Restriktionen reden, wenn abgelehnte Asylbewerber sich der Rückführung entziehen“, sagte der Grüne. Es sei eine Tatsache, dass den meisten Armutsflüchtlingen gesagt werden müsse: „Tut uns leid, ihr müsst zurück.“ Er verstehe die Menschen, die wegen wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit nach Deutschland kämen. Kretschmann plädierte dafür, hoch qualifizierten Flüchtlingen vom Westbalkan das Einwandern zu erleichtern.

Mindestens 52.000 neue Asylbewerber erwartet

Nach Baden-Württemberg kommen im laufenden Jahr mindestens 52 000 neue Asylbewerber - wahrscheinlich werden es sogar an die 80 000 sein. Angesichts der Engpässe bei der Unterbringung kündigte Kretschmann an, das Land werde den Kreisen die kostenlose Überlassung von Liegenschaften und Landesgrundstücken anbieten. Dem Gemeindetag reicht das alles aber nicht. Präsident Roger Kehle (CDU) sagte am Montag: „Mir fehlt nach wie vor ein stimmiges Gesamtkonzept.“ Die Aufgabe erledige sich nicht mit der Schaffung neuer Plätze in den Erstaufnahmelagern des Landes. Ungeklärt sei, wo man die Flüchtlinge unterbringe, die langfristig in Deutschland bleiben könnten.

Der baden-württembergische Flüchtlingsrat demonstrierte am Rande des Flüchtlingsgipfel dafür, für eine möglichst gute Unterbringung von Flüchtlingen zu sorgen, sie früh zu integrieren und die „derzeit verschärfte Abschiebepolitik“ zu beenden. Hingegen fordern die Kommunen, abgelehnte Asylbewerber konsequenter abzuschieben. Im gesamten vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Innenministeriums 1211 Menschen abgeschoben. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres waren es 1080, so dass es 2015 in etwa auf eine Verdoppelung hinausläuft.