Die rasant steigende Zahl von Schutzsuchenden überfordert die Landesverwaltung. Nun sollen neben Karlsruhe drei weitere Erstaufnahmestellen eingerichtet werden. Tübingen ist noch ein Wackelkandidat.

Stuttgart - Die Landesregierung hat Umrisse eines Konzepts für die Flüchtlingsaufnahme vorgelegt. Bis in zwei Jahren soll es vier Erstaufnahmestellen geben: in Karlsruhe, wo die bisher einzige reguläre Einrichtung angesiedelt ist, dazu in Mannheim, Freiburg und Tübingen. Das sagte Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) nach der Kabinettssitzung am Dienstag. Ziel ist, die Aufnahmekapazität auf 4000 Plätze zu erhöhen.

 

Der Standort in der Mannheimer Pyramidenstraße war bisher schon im Blick der Regierung. Im Sommer hatte dann der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) die bisherige Polizeiakademie in der Breisgaustadt angeboten. Dazu kommt nun ein Gelände in Tübingen, das sich neben dem dortigen Landratsamt befindet. Ob das klappt, ist aber noch offen. Anfang August hatte der Amtschef des Integrationsministeriums, Wolf-Dietrich Hammann, bei einer Besprechung im Tübinger Landratsamt die Notlage des Landes bei der Flüchtlingsaufnahme erläutert und eine Einrichtung im württembergischen Landesteil angemahnt. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) zeigte sich kooperationsbereit. Allerdings weist das in Aussicht genommene Tübinger Gelände zwei Probleme auf: Mit 16 000 Quadratmetern ist es zu klein. 22 000 Quadratmeter gelten als Voraussetzung für eine Erstaufnahmestelle. Nun wird geprüft, ob in Reutlingen eine Zweigstelle eingerichtet werden kann. Außerdem will sich OB Palmer nur übergangsweise auf eine Aufnahmestelle einlassen. Bei dem in Aussicht genommenen Areal handle es sich um das letzte Neubaugebiet der Stadt.

Bisher gibt es fast nur Notlösungen

Derzeit behilft sich das Land noch mit Übergangslösungen. Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) verwies auf die kürzlich als Erstaufnahmestelle in Betrieb genommene ehemalige Zollernalb-Kaserne in Meßstetten, die kurzfristige Umwidmung der Landesfeuerwehrschule in Bruchsal sowie eine ehemalige US-Kaserne in Heidelberg. Die Situation habe sich in den vergangenen Tagen verschärft, weil in drei Bundesländern – Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern – Aufnahmestopps verhängt worden seien. Ministerin Öney forderte ein europäisches Gesamtkonzept: „Wir brauchen europaweit gerechte Verfahren.“ Das Kabinett bewilligte 37 neue Stellen für die Flüchtlingsaufnahme.

Flüchtlingsheime mit mehr als 20 Plätzen im Raum Stuttgart:

In den Erstaufnahmestellen bleiben die Flüchtlinge nur wenige Wochen. Dort durchlaufen sie einen Gesundheitscheck und stellen auch ihren Asylantrag. Danach werden sie vorläufig in den Kommunen untergebracht, bevor es – sofern innerhalb von zwei Jahren über ihren Aufenthaltsstatus noch nicht verbindlich entschieden ist – in die so genannte Anschlussunterbringung geht.

Streit um sichere Herkunftsländer

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, niemand habe die „gewaltige Zunahme“ der Flüchtlingszahlen vorhersehen können. Das Land komme aber seinen humanitären Verpflichtungen nach. Der Regierungschef unterstützt auch den Vorschlag des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD), mit einer Änderung des Baurechts künftig Gewerbegebiete für die Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften zuzulassen. Er hoffe, dass bis zur Sitzung des Bundesrats am Freitag eine Lösung gefunden werde, sagte Kretschmann.

In einer anderen Frage blieb der Ministerpräsident schweigsam: Der Bundestag hatte beschlossen, die Balkanstaaten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, um damit die Asylverfahren zu beschleunigen. Im Bundesrat gibt es dafür keine Mehrheit – die Grünen sperren sich. Kretschmann zeigte sich jedoch kompromissbereit. Er forderte unter anderem, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge von neun auf drei Monate zu verkürzen. Der CDU-Landeschef Thomas Strobl forderte Grün-Rot auf, der Gesetzesänderung im Bundesrat zuzustimmen.