In der Asylpolitik bemühen sich die Grünen um einen Balanceakt zwischen Humanität und Pragmatismus. Das fällt schwer – und bei einigen wird der Ton bereits rauer.

Stuttgart - Dass ein Bundespolitiker ein Flüchtlingsheim besucht und sich mit den Bewohnern fotografieren lässt – das ist selten geworden. Grünen-Parteichef Cem Özdemir tut es. Am Samstagmorgen hat er in der Stuttgarter Leonhardskirche die Armenspeisung besucht, am Nachmittag hörte er sich mit Verkehrsminister Winfried Hermann die Sorgen von 150 Flüchtlingen in einer Unterkunft in Stuttgart-Möhringen an: aus deren Mund oder gefiltert von Caritas-Betreuern und Ehrenamtlichen. „Ich will dahin gehen, wo die Not am größten ist“, sagt Özdemir.

 

Zermürbt vom Warten: das ist der Grundtenor aller Beschwerden in der vornehmlich von Syrern, Afghanen und Iranern bewohnten Unterkunft. Warten auf den Asylentscheid, einen Termin beim völlig überlasteten Stuttgarter Ausländeramt, wo manche Antragsteller seit 4 Uhr morgens ausharren, oder auf ein Nachholen der zurückgelassenen Familie – das bringt viele schier zur Verzweiflung. Und die ungleiche Behandlung – über Syrer wird oft in einem Monat entschieden, Afghanen warten mitunter über ein Jahr – trägt Spannungen in die Unterkunft.

Kritik an den „Grübel-Grünen“

Özdemir hört geduldig zu, doch plötzlich platzt ihm der Kragen: Da hatte die pädagogische Heimleiterin Lisa Maisch berichtet, manche Christen aus Syrien würde quasi ihren Glauben verstecken aus Angst vor Diskriminierung durch muslimische Landsleute. „Wir müssen denen sagen, dies ist ein freies Land. Hier hat man sich gefälligst an Recht und Ordnung zu halten“, sagt Özdemir in energischem Ton. Er unterscheide nicht zwischen „inländischen und ausländischen Rassisten“. „Diese Leute brauchen eine klare Ansage“, sagt der Grüne.

Nach den Silvester-Vorfällen von Köln haben Medien von den „Grübel-Grünen“ gesprochen, die geschockt darüber seien, was in einer toleranten Gesellschaft passieren kann. Zumindest Parteichef Özdemir hat zu einer Sprache gefunden, die ein Ende des multikulturellen Kuschelkurses signalisiert: Wer ein Problem mit Frauen habe, der könne gleich wieder gehen, zitierte Özdemir kürzlich im Kölner Boulevardblatt „Express“ einen Karnevalsspruch. Es gebe in der Tat Probleme mit patriarchalischen Rollenmustern, und islamische Funktionäre täten mit ihren Sprechverboten wenig dagegen, sagt er.

Die Sache mit den sicheren Herkunftsländern

In der Sache selbst fordert Özdemir „eine drastische Beschleunigung der Asylverfahren“ und Rückführungsabkommen. Aus eigener Anschauung kann er aber feststellen, dass etwa Afghanistan „kein sicheres Land“ sei: „Da kann man keinen zurückschicken.“ Eine spannende Frage ist, ob die Grünen der großen Koalition folgen und im Bundesrat zustimmen, dass auch Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Staaten gelten. Vom linken Flügel der Grünen bis zu den Realos wird dies angesichts der geringen Zuwanderungszahlen von dort als „Symbolpolitik“ kritisiert. Linke Vertreter wie Volker Beck oder Anton Hofreiter sehen die Maghreb-Staaten aufgrund von Menschenrechtsverletzungen als unsicher an. Allerdings hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann eine gründliche Prüfung dieser Frage zugesagt und will eine Zusage nicht von vornherein ausschließen.

Schon 2014 hatte Kretschmann bei der Einstufung von drei Balkanländern als sichere Herkunftsländer seine Partei auf Kurs geführt. Relativ fest ist Kretschmann aber in seiner Kritik an den Einschränkungen beim Familiennachzug: Wie solle man denn integrieren ohne Familien, fragte er am Samstag in einem SWR-Interview. Probleme machten doch gerade alleinstehende Männer.

Keine „Hurra-Politik“

In der Flüchtlingspolitik vollführen die Grünen einen Balanceakt zwischen Humanität und Pragmatismus. „Wir haben nie eine Hurra-Politik gemacht. Wir haben stets gesagt, dass wir bei nationalen Herausforderungen Kompromisse brauchen“, sagt Winfried Hermann, ein Vertreter des linken Flügels. Gut möglich, dass die Grünen ihr Ja in der Maghreb-Frage an Bedingungen knüpfen. Özdemir nannte etwa eine Lösung für die Geduldeten, die seit Jahren hier leben und nicht zurückgeschickt werden können, die aber keine Integrationsangebote und eine volle Arbeitserlaubnis erhalten. Etwas Hitze ist aus der Debatte genommen, weil der Beschluss über den Maghreb-Status im Bundesrat erst am 18. März fallen soll, also nach den Landtagswahlen. In Möhringen, wo drei Standorte für Flüchtlingsheime existieren, will übrigens keiner auf Zeit spielen. Das Engagement der Bürger sei gut, ein Freundeskreis von 200 Leuten existiere, ohne ihn könne man die Flüchtlinge nur „abfertigen“, lobt die Caritas. „Aber ich weiß nicht“, sagt ein Helfer, „wie das im Stadtteil sein wird, wenn drei- bis viermal so viele Flüchtlinge kommen.“